Der letzte Grieche
mehrmals und wäre einmal fast in eine Schlucht gestürzt. Als er schließlich das Gesicht im Kissen vergrub, war es ein Durcheinander aus Rotz und Schweiß. Sein Hemd war nass und staubig und klebte ihm am Leib, die Tolle, die er vor seinem Treffen mit Efi so sorgsam mit Pomade traktiert hatte, klebte in der Stirn wie ein zertrampelter Eidechsenschwanz. Obwohl er sich am Boden zerstört fühlte, schmerzte das Glied an seinem Bauch – gefüllt mit Lust oder vielleicht auch Frustration. Er fluchte über Efi, er fluchte über sich selbst. Was meinte sie mit ein anderes Mal? Als die Hitze hochgewallt war und er endlich ihre Brüste an seinem offenen Hemd gefühlt hatte, war er sicher gewesen, dass es das war, was sie wollte und was er wollte und wonach sie beide sich sehnten. Hatten sich die Härchen auf ihrem Unterarm etwa nicht an seinen gerieben, als sie unter den Pfirsichbäumen gegangen waren? Hatte sie nicht den Saft zwischen seinen Fingern aufgeleckt, als er ihr die Frucht wie einem Stück Vieh hingehalten hatte? Hatte sie etwa nicht den Vorschlag gemacht, das Dorf zu verlassen und auf der Landstraße spazieren zu gehen? Hatte sie sich nicht bei der Transformatorenstation mit der Münze in der Hand hingesetzt und es unglaublich wichtig gefunden, ausgerechnet dort und in diesem Moment über die Figur zu diskutieren, die in zwei Exemplaren das Landeswappen flankierte? Denn es war doch Herakles gewesen, den man dort sah, der Gott, der von Schafen bis Prinzessinnen alles besprang?
Jannis verstand die Welt nicht mehr. Er verstand nicht, was Efi gewollt hatte, er verstand nicht, was sie nicht gewollt hatte, und am allerwenigsten verstand er, warum sie nicht gewollt hatte, was sie gewollt hatte. Aber er spürte die Ohnmacht heranschleichen und wölbte unwillkürlich die Hand um sein Geschlecht, als wolle er ein unbekanntes Tier schützen. Dann schluchzte er – still und kläglich in das Kissen, das nach Kümmel roch.
So war Jannis’ Scham: schlicht. Efis Scham ist schwerer zu beschreiben. Nachdem sie ihre Limonade getrunken hatte, ging sie nach Hause und schloss sich im Badezimmer ein. Sie wusch sich lange und gründlich und kämmte sich anschließend die Haare, bis sie sich elektrisch aufluden und von allein zur Bürste wanderten. Sie murmelte, dass sie nicht wie andere Mädchen war, noch nicht, das Gesicht im Spiegel machte allerdings keine Miene, sie verstehen zu wollen. Dann cremte sie sich die Hände ein und setzte sich auf einen Hocker. Eine Ewigkeit verging. Als sie schließlich die Badezimmertür aufschloss, legte sie sich, die Knöchel einer Hand gegen die Zähne gepresst, aufs Bett. Immer noch angezogen, immer noch verloren. Alles roch nach Creme und Verzweiflung.
Erst am nächsten Morgen rührte sie sich wieder. Als Efi hörte, wie ihr Bruder die Mutter fragte, was denn mit seiner Schwester los sei, schrie sie jedoch, die anderen sollten sie gefälligst ausschlafen lassen. Eine Stunde später zog sie sich um. Sie war steif und langsam, fühlte sich aber dennoch gestärkt. Eigenartig. Während sie Mutter und Bruder lauschte, hatte sie die Ereignisse des Vortags Revue passieren lassen – als wären diese nur zu verstehen, wenn man jede Feder und Spirale auseinander nahm. Sie prüfte ihr Herz, obwohl das nicht notwendig war, sie dachte über die noch unberührten Teile ihres Körpers nach, obgleich sie wusste, was sie mit jeder Drüse und jedem Nerv wollten. Und dann traf sie eine Entscheidung, die im Laufe der Nacht gereift war. Sollten Priester und Eltern doch sagen, was sie wollten, die Ärzte im Übrigen auch. Ihr war klar geworden, was sie zu tun hatte.
All dies erfüllte sie nicht mit Scham, sondern bloß mit Hoffnung. Die Scham stellte sich erst später ein – nach den Handlungen, die ihrem Entschluss folgten. Obwohl Efi Jannis ratlos gemacht hatte, wusste sie, was sie von ihm hielt (viel) und was sie mit ihm machen wollte (alles). Er hatte nur nicht begriffen, dass ihr Zögern keine Frage der Erziehung, sondern der Zeit war. Demnächst würde sie ins Krankenhaus kommen, und sie wollte sich bei einer Untersuchung nicht schämen müssen. Aber nach ihrer Entlassung aus der Klinik würde sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Und wenn er Wirklichkeit geworden war, stand ihnen beiden nichts mehr im Weg. Nicht jetzt, niemals. Glaubte Efi. Wie wir wissen. In Wahrheit waren es gerade diese Vorsätze, die sie mit Scham erfüllen sollten.
Fortsetzung folgt.
FORTSETZUNG FOLGT . Als Efi nach der zweiten
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