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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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selbst halte mich an das hier.« Er füllte die Gläser auf. »Und an die Bilder. Hier kannst du ein paar sehen. Siv hängt regelmäßig neue auf.« Die Bilder an den Wänden waren in verschiedenen Formaten, aber ausnahmslos aus gefärbten Streichhölzern gefertigt. Jannis überlegte, ob der Schmied ihm das Heft wohl jemals zurückgeben würde. »Na denn Prost, mein Lieber«, sagte Ollén und betrachtete ihn mit glasigen Augen. Erneut rollte er das Mückenbuch zusammen. Wieder machte er diese Bewegung.
    Die Männer leerten ihre Gläser. Von da an hatte Jannis den Eindruck, nichts anderes zu tun, als das Glas an die Lippen zu heben und wieder abzusetzen. Seine Gedanken wurden rasch zäher als gewünscht, und er hatte schon bald das Gefühl, unter Wasser zu sprechen. Der Rausch machte ihn träge und täppisch, der Gastgeber wurde laut und fahrlässig. Einmal brachte er einen Toast auf Siv aus, die den klugen Entschluss gefasst hatte, Verwandte zu besuchen, bei anderer Gelegenheit erklärte er, für seinen Bruder, den verrückten Kauz, alles getan zu haben, was in seiner Macht stehe. »Aber dem ist nicht mehr zu helfen. Als Vater ertrank, ist in seinem Kopf was kaputt gegangen.« Bei einer dritten Gelegenheit schälte er sich aus dem Sessel, um eines der Bilder zu zeigen, das einen Athleten darstellte. Ollén behauptete, der muskulöse Streichholzjüngling habe eine Vorlage und kniff die Augen in einer Weise zusammen, die verschwörerisch wirken sollte. »Was meinst du, wer das ist, Kamerad?« Trotz des Schnapses, der seinen Kopf mit einer Mischung aus Grus und Gelee füllte, entdeckte Jannis, dass der Schmied den Arm um seine Schulter gelegt hatte und ihn offenbar nicht mehr loslassen wollte. Der Alkohol ließ ihn vor und zurück schwanken, dumm und selig, während er wie in Zeitlupe wiederholte: »Du – wer – das − ist, Kamerad?« Ollén lachte dermaßen, dass er husten musste.
    Ein vergessbares Spektakel.
    Wenn man die Zeichnungen in dem Heft überblätterte, das der Grieche eine Flasche und zwei Stunden später zurückbekam, standen einige der Fragen darin, die von den beiden Männern bei der Einweihung der Strandpromenade erörtert worden waren – alle in Antons Handschrift:
    »Ist es dir lieber, wenn Eden in Schweden oder in Griechenland liegt?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Kann man sich an die Zukunft erinnern?«
    »Woher weißt du das?«
    »Ist der Schmerz das einzige, was schneller ist, als das Licht?«
    »Wärst du bereit, nur jeden zweiten Tag zu leben, wenn das deine Lebensdauer verdoppeln würde?«
    »Wann hast du zuletzt deinen Namen vergessen?«
    »Kann man von einer verpassten Gelegenheit eine Gänsehaut bekommen?«
    »Müssen Jahrhunderte wirklich hundert Jahre lang sein?«
    »Und wenn manche nur siebzig dauern, geht das dann auch?«
    »Kann ein gutes Gewissen unglücklich sein?«
    »Kann ein schlechtes glücklich sein?«
    »Wo kommen die Träume hin, die nicht zu Ende geträumt wurden?«
    »Wer ist der Gott des Vermissens?«
    »Warum versöhnen wir uns nur durch Verständnis?«
    »Ein Mensch kann ›wir‹ sagen, aber warum kann ein Volk nicht ›ich‹ sagen?«
    »In welchem Geräusch würdest du wohnen wollen?«
    »Was muss man anstellen, um noch einmal geboren zu werden?«
    »Gibt es etwas Wichtigeres als Stolz?«
    »Was siehst du, wenn du die Augen schließt?«
    »Ist da Ziege«, sagte Jannis, als sich der Schmied, mit der Hand auf der Klinke stehend, ohne die Tür zu öffnen, Gedanken über die letzte Frage machte. Inzwischen fiel es beiden schwer, sich auf den Beinen zu halten. »Na, Prost Mahlzeit«, polterte Ollén. »Fällt dir da gar nichts Schöneres ein?« Indem er seine letzten Kräfte mobilisierte, gelang es dem Gast, seine Hand auf die des Gastgebers zu legen und die Tür aufzudrücken. »Aber ist da Ziege, wenn ich Augen schließe.« Er nahm Maß mit dem Fuß. »Schikaden«, stöhnte er alkoholisiert und trat Luft.
    »Schikaden?«
    »Das Geräusch, in dem ich wohnen will.«
    REVISION DER EWIGKEIT . Es war ein später Junitag, das Licht wunderschön, die Kriebelmücken im Delirium. Jannis war mit dem Rasen auf der Seeseite fast fertig, als er die Kinder in der Garage verschwinden sah. Ruhig und methodisch, mit aufgeknöpftem Hemd, arbeitete er weiter. In seinem Brusthaar glänzten Schweißperlen, an den Holzschuhen klebte Gras. Als er fertig war, hakte er den Fangkorb aus. Während er den Inhalt auf den Komposthaufen schüttete, kehrten die Jungen zurück. Der eine trug etwas,

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