Der letzte Grieche
was kurzen Eishockeyschlägern ähnelte, der andere Metallbögen und Kugeln. Als Jannis den Rasenmäher rückwärts hinter sich herzog, zur Garage hinauf, ließ dieser ein bezauberndes Schnattern hören. Einzelne Gräser wirbelten im Abendlicht, in der Ferne ertönte erneut eine Motorsäge.
Sobald er sich gewaschen hatte, ging er zu den Kindern hinunter. Ihn trieb die Neugier, er war sorglos. Im Gras lagen vier Schläger aus lackiertem Holz. Jeder war mit einem farbigen Band versehen – rot, blau, gelb, grün – das der Farbe der Kugeln entsprach. Anton stieß einen Stock mit Kriegsbemalung in die Erde, holte einen Schläger und rammte ihn damit noch etwas tiefer hinein. Zwanzig Meter entfernt machte Theo das Gleiche. Der Kellergast erkannte die Ausrüstung, von der Lily ihm erzählt hatte. Nun würde er sehen dürfen, wie das Spiel ging. Die Jungen teilten die Metallbögen unter sich auf. Zwei landeten vor dem jeweiligen Stock, so dass sie einen Tunnel bildeten, einer wurde einige Meter weiter rechts beziehungsweise links positioniert, und schließlich wurden zwei Metallbögen in der Mitte so überkreuz aufgestellt, dass sie wie ein Haus oder eine Drehtür aussahen.
Alles zusammen ergab, erkannte Jannis, ein geometrisches Muster. Auf einmal war er sehr aufmerksam, sehr wach. Sein Herz fühlte sich jung und muskulös – ein kerniges Stück Holz. Seine Schritte wurden trotz der Holzschuhe geschmeidig, seine Lunge schmerzte angenehm, als der Geruch gemähten Grases durch seinen Brustkorb schnellte. Dennoch schien das Glücksgefühl, das ihn an diesem Abend überwältigte, aus größerer Entfernung zu kommen, nicht von der Rasenfläche am Rövaren, sondern aus einer Gegend voller nasser Steine und Sonnenuntergänge. Es schimmerte im Zwerchfell. Seltsam. Er wirkte frisch verliebt in die Ewigkeit.
Die Partie, die nach dem Auslosen begann, gestaltete sich wie folgt. Rote Kugel: Theo. Blaue Kugel: Jannis. Gelbe Kugel: Anton. Es war vielleicht gar nicht so schlecht, als Letzter an der Reihe zu sein, dachte Gelb, weil er seinen Mitspielern dann den größten strategischen Schaden zufügen konnte. Die Wirklichkeit wollte es jedoch anders. Rot hatte nämlich, was Gelb als Anfängerglück identifizierte. Lässig fand er den Weg durch den ersten Tunnel und mit den beiden Extraschlägen gelang es ihm, auch Tor Nummer drei zu durchqueren. Jetzt hatte er das Recht zu »krocketieren«, was noch nie so früh passiert war. Aber irgendwann, dachte Gelb gönnerhaft, musste eben auch sein Bruder lernen, mit dieser banalen Form der Kausalität von Schläger und Kugel umzugehen. Rots Glück war jedoch nichts gegen das von Blau. Mit einem ebenso lässig gezielten wie präzise durchgeführten Schlag schoss er durch den Tunnel und brachte sich in eine perfekte Ausgangsposition für das nächste Tor, durch das die Kugel rollte. Mit dem so gewonnenen Extraschlag kam er auch noch durch die Krone in der Mitte und bis zum nächsten Bogen. Er pfiff, als er sich über die Kugel beugte, doch dann verließ ihn das Glück. Als Gelb schließlich an der Reihe war, lag Blau schräg vor Bogen Nummer fünf, in einem perfekten Winkel zum nächsten Tor.
Gelb kam weiter als Rot, aber nicht so weit wie Blau, woraufhin die Partie einen unerwarteten Verlauf nahm. Während die Kriebelmücken im pelzartigen Licht schwebten, wurden helle Ticks von schweren Tocks abgelöst, freudige Rufe von ärgerlichem Stöhnen. Einmal sprang Rot vor Glück in die Höhe, ein anderes Mal lag Gelb mit seinem Schläger der Länge nach auf der Erde. Als Blau die Krone in umgekehrter Richtung passiert hatte, stieß er, unabsichtlich, auf – und gegen – Gelb. Rot erklärte, nun dürfe er wählen: Entweder schlug er Gelb in eine ungünstige Richtung oder er bekam einen Extraschlag. Blau gab sich nachdenklich. »Ich krock-, nein, ich krakeliere wohl.« »Was?« »Ja also, mache weiter.« Was er auch tat – und zwar die ganze Strecke bis zu dem ersten Stab, den er mit einem Schlag in Reserve umrundete. Mit dem Extraschlag konnte er sich in Reichweite von Rot und Gelb plazieren. Zwei Minuten später berührte er Gelb zum zweiten Mal. Und entschied sich zum zweiten Mal für »krakelieren«. Kurz darauf traf er den Stab. Die Sensation war perfekt. Blau hatte gewonnen.
Später am Abend analysierte Jannis die Partie Schlag für Schlag. Es war ihm, als gäbe es in dem Gewirr aus Tick und Tock und dem Gewicht und den denkbaren Routen der Kugeln und den Schlägerköpfen und dem
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