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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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unerwartet sonnigen, wenn auch windigen Sonntag – entdeckten zwei Einwohner Simrishamns endlich »Mr X«, jene anonyme Person, deren schwarzes Profil mit jedem Tag wuchs, an dem es den Lesern des Boulevardblatts Kvällsposten nicht gelang, sie zu enttarnen. Inzwischen war das Profil, das gewöhnlich auf der Titelseite abgedruckt wurde, von einer Frontalansicht mitten in der Zeitung ersetzt worden. Am Nachmittag saß »das flüchtigste X des Sommers« mit der aufgeschlagenen Zeitung vor sich in einem Straßencafé – und erwies sich überraschend als eine Frau mit Pagenschnitt und unsichtbarer Büste. Am letzten Tag des Monats lautete die Schlagzeile deshalb: ER WAR EINE SIE !
    Während dieser ganzen Zeit pflegte Jannis den Garten so akribisch, dass er »eben war wie ein Green«, wie Ado von Reppe an einem regenfreien Nachmittag mit einem Cocktail in der einen und einem schwingenden Schläger in der anderen Hand bemerkte, während Tore Ollén sich – mit einem vom Schnaps erhitzten Gesicht über seine Kugel gebeugt – auf die Tore konzentrierte, die sich vor seinen Augen verdoppelten. Außerdem erntete Jannis mit Lily kleine, aber aromatische Tomaten, schwamm mit seiner Taucherbrille auch dann noch rund um den Steg, wenn es regnete und der See eine Gänsehaut bekam, und begleitete gelegentlich in einem weißen Hemd und mit der Jacke auf den Schultern Agneta nach Hause. Wenn sein Arm den des Kindermädchens berührte, durchströmte diese eine unerwartete Welle der Sehnsucht. Sie hatte auf weitere Aktionen mit Duftwasser verzichtet. Auch wenn seine Gesellschaft ihr schmeichelte, war sie sich doch nicht sicher, ob sie an gefährlichen Elementen interessiert war. Kaum mehr als ein halbes Jahr war vergangen, seit Bengt die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, und Agneta wollte auf eigenen Beinen stehen, ehe sie jemandem in die Arme fiel. Wenn das Lederimitat sie berührte, verspürte sie jedoch eine wehmütige Zusammengehörigkeit mit Efi und begann zu überlegen, ob sie und der Grieche vielleicht doch Freunde »so« werden könnten … Ansonsten verbrachte Jannis seine Nachmittage im Keller. In diesen Stunden wurden keine Besuche empfangen, aber es lagen Wundertaten in der Luft, fand Manolis, wenn sein Landsmann zusammen mit Anton die Treppe heraufkam. Lily ahnte, was dort unten vorging, sagte aber nichts. Als Theo nach dem Abendessen mitkommen wollte, um zu sehen, welche neuen Bauwerke geplant wurden, lehnte die Geschäftsführung dies jedoch ab. »Wir spielen nur Svensson«, entschuldigte sich Jannis. »Du kapierst ja sowieso nichts«, meinte Anton.
    Als eines Tages hilfloser Sonnenschein zwischen Regenschauern flackerte, fand am Bahnübergang eine wichtige Begegnung statt. Jannis hatte gerade das Gras auf dem Sportplatz geschnitten – wofür ihm der Vereinsvorsitzende zehn Kronen gegeben hatte – und wollte im See schwimmen gehen, als er parallel zu den Gleisen eine schwarzgekleidete Gestalt näherkommen sah. Sie trug einen Schlapphut aus Filz. Abgesehen von Haarsträhnen konnte man darunter nur eine spitze Nase erkennen. Der Mann hatte den Blick gesenkt und die Schultern hochgezogen, als hätte er beschlossen, die Welt auf seinem Weg von einer fremden Dimension zur nächsten möglichst unbeschadet zu durchqueren. Ab und zu ging er in die Hocke und steckte etwas in eine Papiertüte. Neugierig wartete Jannis, bis der Fremde den Bahnübergang erreichte, was eine regenfreie Minute später geschah.
    Der Mann erinnerte ihn an die Apokalypse. Bei dem Gedanken erkannte er, dass es sich um o trelós handeln musste, der hinter dem Schilf in der Nähe der Badestelle wohnte. Wie hieß er noch? »Druck-, nein Dreck- irgendwas … »Dreck-Janne!« Jan Ollén, 67 Jahre alt, blickte auf. Im Gegensatz zu dem Eisverkäufer auf den Straßen von Jannis’ Kindheit konnte er sowohl hören, als auch sprechen. Sein Gesicht war hager, der Schnurrbart gelb und ungepflegt. Jannis streckte die Hand aus. »Ich bin Grieche.« Statt den Gruß zu erwidern, hielt ihm der Bruder des Schmieds die Tüte hin. In ihr krochen Schnecken in alle Richtungen und Ecken, zum Teil übereinander. Manche waren schwarz und rauh, andere grün und weiß mit einem geriffelten Gehäuse auf dem Rücken. Einige kauerten in ihren Schneckenhäusern, während andere, fleischig und glänzend, schleimige Spuren auf der Pappe hinterließen. »Geheimnisse«, erklärte Jannis, als er die Tüte zurückgab. »Die Natur ist voll davon.« Dreck-Janne schob den Hut in seiner

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