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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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Habidis hatte Wäscheklammern zwischen den Zähnen. Als sie diese ausgespuckt hatte, bemerkte sie, unverblümt wie immer, dass wohl eher Elenis treue Gedanken Ergebnisse gezeitigt hätten. Ihr Sohn musste einen Band der Enzyklopädie gesehen und begriffen haben, wer sich hinter der Redaktionsadresse verbarg, und infolgedessen erkannt haben, dass er nicht der einzige Überlebende der Familie war.
    » Jiajiá , habe ich gesagt …«
    Der einzige? Nein, keiner war der einzige. Mit Pavlos hatte Eleni ein Stück lebendige Geschichte zurückbekommen. Inzwischen glaubte sie jedoch beinahe, höhere Mächte hätten gefunden, dass dies zu viel des Glücks gewesen war. Denn nur wenige Tage später, noch ehe sie es geschafft hatte, den Brief zu beantworten, starb der Briefträger.
    »Jiajiá!«
    Die Großmutter drehte sich um. »Mein Herz, siehst du nicht, dass ich denke?« Ihr Enkelkind schlenkerte auf dem Bett sitzend mit den Beinen. »Ich glaube, ich bin verliebt.« »Mm, das hört sich doch gut an …« Nach der Beerdigung hatte Eleni zurückgeschrieben. Sie hatte von ihrem neuen Leben erzählt, ihrer neuen Trauer, und Pavlos ermahnt, »alles zu erzählen. Wage es nicht, auch nur ein Detail auszulassen, hörst du? Nicht einmal, wenn es dir körperlich wehtut.« Wer war der Mensch, der ihn zum Hafen mitgenommen hatte? Wer war der Matrose, der ihn gerettet hatte? Wie bald würden sie sich sehen können?
    »Von wegen! Jetzt ist er nämlich weg. Und Herr Nehemas sagt, es dauert Wochen , bis er wiederkommt.« Efi presste den Mund an das Ohr ihrer Großmutter. So schnell, dass die Worte übereinander stolperten, erzählte sie von dem Jungen, der auf dem Gepäckträger angekommen war, und von seinem Vater, der auf der anderen Straßenseite gewartet und auf die Frage, wie weit es bis zu dem Kaff war, so komisch geantwortet hatte. »Er hat durch die Nase gesprochen, jiajiá …«
    »Sicher nur eine Erkältung. Du wirst sehen, wenn der Junge dich genauso gern hat, wie du ihn zu haben scheinst, kommt er zurück. Willst du eigentlich keinen Mittagsschlaf halten? Großmutter muss nachdenken.« Als ihr Enkelkind nicht ging, fügte sie hinzu: »Na schön. Wie heißt er?« »Wer?« »Dein Ritter auf dem Gepäckträger.« Erneut presste Efi den Mund an ihr Ohr. »Hm. Und mit Nachnamen?« Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Oh, mir tut das Herz so weh, jiajiá !« Eleni lachte. »Éfi mou, kardoúla mou …« Sie wollte erzählen, dass es einen Schmerz gab, gegen den man nichts tun konnte, einen Schmerz, der das einzige war, was einen weiter hoffen ließ, obwohl man es besser wusste, einen Schmerz, der so hart und bösartig war, dass man keine andere Wahl hatte, als sich mit ihm anzufreunden. Und dass man nur dann, wenn man sich mit Dieser Jämmerlichen Sache angefreundet hatte, herausfinden würde, dass sich die Trauer lohnte. Doch stattdessen drückte sie das Mädchen an sich. Sie roch abwechselnd Agathi und Irini – Schweiß, Kondensmilch und herrliche, siebeneinhalb Jahre alte Haare. »Ich finde, du solltest Kostas fragen, wie dein Freund mit Nachnamen heißt. Dann verspreche ich dir, wir gehen nach Áno Potamiá und besuchen ihn. Es ist lange her, dass ich dort war.« Sie erinnerte sich an ihre Besuche dort und überlegte, was sie eigentlich mit dem Schreiben gemacht hatte, das seine Adressatin nie erreicht hatte. Um zu verbergen, dass ihre Wangen bei dem Gedanken an das Bekenntnis des Briefträgers rot anliefen, legte sie sich den Mantel über die Schultern. »Lass deine Großmutter jetzt in Frieden. Gleich werden die anderen wach.«
    Die alte Frau dachte an die Briefe, die sie an den Sohn in Ipswich geschickt hatte, und an die Ansichtskarten, auf denen er ihr geantwortet hatte. Pavlos wusste nicht, wer ihn in Smyrna zum Hafen mitgenommen hatte. Er war damals erst fünf oder sechs Jahre alt gewesen, entsann sich aber eines weißen Gewands und nahm an, dass es ein Türke gewesen war. Nach der Fahrt an Bord der Vittore Immanuele hatte er jahrelang bei einem Matrosen in Neapel gewohnt – bis Giuseppe kein Geld mehr hatte und ihn stattdessen zu Verwandten in England schickte, mit denen er sich allerdings nicht besonders gut verstanden hatte. Eleni gewann den Eindruck, dass ihr Sohn nur ungern über seine erste Zeit in dem neuen Land sprach. Schon bald war er jedoch in die Obhut einer Friseuse mit drei Töchtern gekommen, für die er wie ein Bruder werden sollte, und während der harten Jahre in den Dreißigern hatte er den Nachnamen

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