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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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werden wie Spartaner. »Ich heiße Efi. Gib nichts auf den Lehrer. Das geht vorbei. Möchtest du?« Sie reichte ihm einen Orangenschnitz. »Mein Papa arbeitet auf dem Postamt. Was macht deiner?« Als Jannis nicht antwortete, fuhr sie fort: »Glaub mir. Schau. Keine blauen Flecken.« Sie hielt die linke Hand hoch. »Und jetzt schreibe ich mit der.« Die Orange tropfte. Dunkle Einschläge in staubigem Schotter.
    Jeden Nachmittag wartete die Hasenscharte auf Jannis. Und jeden Nachmittag winkte Jannis erst Efi und dann Kostas zu, ehe er die Arme um die Taille seines Vaters schlang. Gegen Ende der zweiten Woche, als er gerade ein Ei schälte, kamen einige ältere Kinder zu ihm, darunter auch Thanassis Tsoulas, der Sohn des Weinhändlers. Er wirkte verlegen. »Jannis, die Jungs hier wollen wissen, was mit deinem Vater nicht stimmt …« »Er sieht aus, als hätte ihn seine mána ein bisschen schnell rausgequetscht«, ergänzte Lekkas. Er presste die Handteller gegen das Gesicht und schob sie in entgegengesetzte Richtungen, hin und her. »Ist das so üblich in eurem Kaff? Ich meine, sehen da alle so aus?« Diese Fragen waren keine Mücken. Als Jannis nicht antwortete, versiegte das Lachen. »Eh, maláka« , sagte ein dritter Junge und spuckte in den Staub. »Hast du deine Zunge verschluckt? Wir reden mit dir!« Lekkas stieß ihn an. Der letzte Rest Ei landete auf der Erde. »Was zum Teufel, sitzt du da etwa und mampfst Efis Essen?« Efi versuchte zu protestieren, aber keiner hörte ihr zu. Jannis hob den Kopf und schaute von Schulkamerad zu Schulkamerad, bis er sich nicht mehr sicher war, woher sie kamen. »Ist er vielleicht erkältet?«, sagte Efi. »Was?« »Sein Vater ist vielleicht erkältet, habe ich gesagt.« Sie fragte sich, wo ihr Bruder steckte. »Misch dich nicht ein, Efi. Das kann jeder sagen.« Als der neue Schüler aufstand, wich Lekkas einen Schritt zurück. »Jeder?« Jannis wischte die Krümel fort. »Kein Mensch ist jeder. Jeder Mensch ist jemand.«
    Einen Monat später hatte die Hasenscharte einen Platten, danach sollte der Tabak geerntet werden und der Platz neben Kostas blieb verwaist. Als Nehemas verkündete, der neue Schüler werde erst nach der Ernte wiederkehren, ging Efi noch am selben Tag zu ihrer Großmutter, die an ihrem Sekretär saß. In regelmäßigen Abständen seufzte Eleni Vembas und verlor sich in Leere oder Gedanken (schwer zu sagen). Die Läden waren geschlossen, das Fenster stand offen, das Mückennetz zitterte. Über dem Stuhlrücken hing der Mantel, den sie früher über ihre schlafenden Töchter und kürzlich über ihren verstorbenen Briefträger gebreitet hatte.
    »Jiajiá?« Das Mädchen zögerte.
    »Kardoúla mou?« Der Großmutter fiel es schwer, sich von dem Gefühl zu befreien, dass eine ihrer eigenen Töchter in der Tür stand. O, Agathi, o, Irini. Wenn sie die Nasenspitze bedachte, die sich abwärts bog, als wollte sie tropfen, hätte es Irini sein können. Wenn sie den schief gelegten Kopf in Betracht zog, war es eher Agathi, die immer die nachdenklichere von beiden gewesen war. Wenn sie die Kinder von Soulas und Evangelos sah, dankte sie den höheren Mächten jedesmal dafür, dass sie den Bus in die Berge genommen hatte. Nichts von all dem, was sie hatte zurücklassen müssen – die Werkstatt, die Freunde, der Geruch von türkischem Jasmin und britischer Seife –, würde sie wiederbekommen. Ebenso wenig wie den Briefträger, der die Tür zu ihrem Herzen geöffnet hatte, ohne es zu merken. Aber mit den Kindern ihrer Stieftochter schlug der Stammbaum weiter aus. Was machte es da schon, dass die Äste gepfropft waren?
    Nur wenige Tage vor Konstantinos’ Tod war ein Brief mit einem englischen Poststempel eingetroffen. Eleni hatte zunächst gedacht, er käme vielleicht von einer Freundin, die umgezogen war. Doch als sie zu lesen begann, hatte sich ihr Magen wie in einem Krampf geschlossen. Ihre Hand zitterte so heftig, dass sie nach jeder Zeile pausieren musste. Und als sie schließlich zur Unterschrift gelangte, bebten ihre Lippen wie bei einem Kind. Immer und immer wieder las sie die letzten sechs Buchstaben. Jedesmal schlug dabei ihr Herz, als würde es mit Tränen und Trompeten gefüllt. Pavlos lebte, Pavlos lebte.
    Efi setzte sich aufs Bett. » Jiajiá … Weißt du was?«
    Die Großmutter nahm sich eine neue Pastille. Sie würde nie vergessen, wie sie zu ihrer Nachbarin gegangen war, die gerade Wäsche aufhängte, um ihr zu erzählen von dem – »Mimakel?« Frau

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