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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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Freitag in der Geschichte des Monats April.« Lily sah Anton an, der seinen Bruder ansah, dem der Vater in die Wange kniff. Niemand sagte etwas außer Theo, der aufschrie.
    Während all dies geschah, lockerte Botschafter Philip Talbot in Athen den Knoten seiner Krawatte. Er zog das Telefon näher zu sich heran und wählte eine der wenigen Nummern die in der griechischen Hauptstadt noch zu erreichen waren. Im Laufe des folgenden Gesprächs trommelte der Diplomat auffallend oft auf seiner Schreibtischunterlage. Der Hörer an seinem Ohr wurde heiß. Der dunkelrote Stein auf seinem Collegering – University of Illinois, Class of ’36 – blitzte im Licht der Neonröhre. Um seine Wut im Zaum zu halten, legte er einige Büroklammern in einen Aschenbecher, rückte den Füllfederhalter mit zugehörigem Bergkristall aus Nordindien gerade und schob einen Zeigefinger unter den Hemdkragen. (Vor seiner Ernennung zum Botschafter hatte Talbot als Korrespondent auf dem indischen Subkontinent gearbeitet. Der Stift war ein Geschenk des damaligen Chefredakteurs des New Indian Christian. ) Keine dieser Handlungen sollte jedoch Eingang in die Zusammenfassung des Gesprächs finden, die er verfasste, sobald er mit bleischweren Bewegungen den Hörer aufgelegt hatte. Jedes Wort betonend sagte er: »Aber denk doch an die Geschichte, Jack. Das bedeutet, die Demokratie zu vergewaltigen.« Der Diplomat fluchte nur deshalb nicht, weil er keine Ahnung hatte, ob das Gespräch aufgezeichnet wurde. (Das wurde es.)
    Am anderen Ende der Leitung zog Jack Maury, Leiter des CIA -Büros in Athen, eine Grimasse, die man nicht hörte und die ebenso wenig ins Protokoll aufgenommen wurde. »Vergewaltigen, Phil?« Er faltete sich einen neuen Kaugummi in den Mund. Diesmal mit Zimtgeschmack. »Wie soll man denn eine Hure vergewaltigen können?«
    EIN GEDÄCHTNISAPPARAT AUS DUROPLAST UND GUMMIRINGEN . Auf einem Regalbrett in Antons Zimmer stand ein kleines Tonbandgerät aus rissigem Duroplast, das von Einweckgummiringen zusammengehalten wurde. Für Jannis war es kaum fassbar, dass die Spulen so viele verschiedene Geräusche speichern konnten. Aber schon wenige Tage, nachdem der Junge ihm gezeigt hatte, wie der Apparat funktionierte, hörten sie darauf den Wind, der während der Kundgebung zum 1. Mai in Kristianstad durch die Transparente strich, die vereinzelten Rufe auf Griechisch und das Geräusch von Schuhsohlen auf Kopfsteinpflaster, Entengeschnatter und das Tropfen perlenförmigen Wassers von feuchten Rudern, die dumpfen Tritte und Flüche vom Sportplatz auf der anderen Seite der Gleise, die Eisenbahnlinie, wenn sich der wummernde Schienenbus näherte, die Eisenbahnlinie, wenn sich der wummernde Schienenbus entfernte, nachdem er eine Münze plattgepresst hatte, die surrenden Räder von Fräulein Gotts Fahrrad und das Rucken der Kette, als sie bremste, um sich von dem jungen Dorfreporter interviewen zu lassen, ein neun Monate altes Kind mit Koliken, ein beruhigend summendes Kindermädchen, den Übergang vom ersten zum zweiten Gang, als Jannis eine Probefahrt machte, die Harke, die auf dem Rand der Schubkarre wippte, als er diese in die Garage rollte … Sogar das Geräusch der Ölheizung ist auf dem Band festgehalten, unmittelbar bevor eine fingierte Livereportage vom WM -Finale zwischen Schweden und der Sowjetunion begann.
    Das Tonbandgerät war ein klobiges Ding, dessen Aufkleber geltend machte, dass es nach wie vor der CHIRURGIE KRISTIANSTAD gehörte. Das Mikrofon sah aus wie ein Rohrkolben. In der unteren Ecke saß ein Hebel, der in alle vier Himmelsrichtungen bewegt werden konnte. Wer zwischen den Aufnahmen genau hinhörte, konnte Manolis’ monotone Stimme vernehmen: »… Schwellung als Folge ausgebliebenen Stuhlgangs … das rechte Ohr infiziert … drei Milliliter … Schwester Elsa kann ein Rezept für Hydrocortison ad usum proprium ausstellen. Ich unterschreibe es, bevor ich …« Das Gerät war lange im Krankenhaus benutzt, kurz vor Ostern jedoch durch ein kleines schwarzes Wunderwerk der Marke Philips ersetzt worden. Jetzt hob Jannis es in die Schubkarre. Die Verlängerungsschnur, die Ingemar Nyberg ihnen geliehen hatte, schlängelte sich aus dem Küchenfenster kommend die Böschung hinab. Sie reichte genau bis zu dem Schlitten, auf dem kurz darauf das erste Interview mit einem Kellergriechen geführt werden sollte. Angesichts der Fragen vermuten wir, dass sie in Absprache mit der Redaktionssekretärin, Frau Lily Florinos, formuliert wurden, die

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