Der letzte Kuss
Lauffeuer verbreiten.«
»Als ob man hier bei uns Klatsch unter Kontrolle halten könnte.« Sie verzog den Mund. »Aber kein Wort über meine Lippen.«
Sie begleitete ihn zur Tür, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihn dazubehalten, und der offensichtlichen Notwendigkeit, ihn gehen zu lassen. Er hielt ein letztes Mal ihrem Blick stand, dann ließ er die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Charlottes Hände waren feucht, ihr Puls raste – und der Höschendieb war nicht die Ursache.
Auf dem Weg zu ihren lavendelfarbenen Slips, die sie auf dem Tresen zurückgelassen hatte, machte sie sich die Realität bewusst. Auf diesem Planeten konnte es keine zwei unterschiedlicheren Menschen geben als sie und Roman es waren. Er bevorzugte Schnelllebigkeit und Herausforderung, sie brauchte Beständigkeit und die Behaglichkeit der Routine. Da bildete auch ihr kurzer Aufenthalt in New York keine Ausnahme, so aufregend er auch gewesen war. Das hatte sein müssen wegen der Ausbildung an der Modeschule, und so schnell es ging war sie nach Yorkshire Falls zurückgekehrt. Roman dagegen hatte es zu seinem Lebensziel gemacht, sich von der Heimat fernzuhalten. Sie hatte damals mit ihm
Schluss gemacht, weil sein Bestreben, Yorkshire Falls hinter sich zu lassen, sie davon überzeugt hatte, dass er ihr nichts als Schmerz bereiten würde. Und nichts von dem, was er inzwischen in seinem Leben gemacht hatte, konnte sie davon überzeugen, dass er anders geworden war. Während sie die Slips wegräumte, wünschte sie sich von Herzen, dass sich alles zum Besseren wenden könnte, sie musste aber nüchtern akzeptieren, dass die Realität nicht so aussah.
Damals wie heute war ihr einziger Trost, dass sie keine Wahl hatte. Sie hatte das Richtige getan. Sie wollte nicht das Leben ihrer Mutter wiederholen, also in der Luft hängen, bis ein Mann zurückkehrte und sich dazu herabließ, sich ihr zu widmen – nach seinen Bedingungen –, um dann wieder zu verschwinden.
Sie durfte den sexuellen Empfindungen nicht nachgeben, die Roman in ihr wachrief, noch die Wahrheit anerkennen, die tief in ihrem Herzen verborgen war – dass sowohl seine herausfordernde Persönlichkeit als auch sein unbeständiger Lebensstil sie reizten. Und deshalb hatte sie den Teil von sich zum Schweigen gebracht, der sich nach Roman Chandler sehnte, und auch die Samen der Unzufriedenheit abzutöten versucht, die in ihrer Seele keimten.
Selbst jetzt noch.
Kapitel vier
Eine Frühlingsbrise begleitete den frühen Morgen, die ungewohnte Wärme nach Yorkshire Falls brachte und Rainas Lungen mit unglaublich süßer, frischer Luft füllte. So frisch wie ihre Söhne in deren Teenagerzeiten, dachte sie voll Ironie.
Von Normans Restaurant aus ging sie quer über die First Street auf den grasbewachsenen Hügel zu, der mitten in der Stadt lag – mit einer Gartenlaube an seinem Fuß. Hier wollte sie Eric während seiner Mittagspause treffen, ehe er wieder in die Praxis musste, um die Nachmittagstermine wahrzunehmen. Obwohl es eine Einladung von ihm war, hatte sie den Ort ausgesucht und das Essen besorgt. Wer konnte schon einem Picknick im Freien widerstehen? Sie hatte köstliche Sandwiches mit gegrilltem Hühnchen mitgebracht.
Auf dem Mittelstreifen hielt sie inne. Mit Erstaunen sah sie, dass Charlotte Bronson und Samson Humphrey, der Entenmann, wie die Kinder der Stadt ihn nannten, beieinander standen. Samson wohnte am Stadtrand in einem heruntergekommenen Haus, das in seiner Familie von Generation zu Generation weitervererbt worden war. Raina hatte keine Ahnung, wovon er lebte, oder was er mit seiner Zeit anstellte, außer im Park zu sitzen und die Enten zu füttern, aber er gehörte zum lebenden Inventar der Stadt.
Sie ging zu ihnen hinüber. »Hallo, Charlotte, Samson.« Sie lächelte beide an.
»Hi, Raina.« Charlotte neigte den Kopf. »Schön, dich zu sehen.«
»Dich auch.« Als Samson stumm blieb, spornte sie ihn an: »Schönes Wetter heute. Perfekt für dich zum Entenfüttern.«
»Hab’ dir doch schon gesagt, dass ich Sam heiße«, murrte er, kaum laut genug für die anderen. »Kannst du denn überhaupt nichts im Kopf behalten?«
»Er ist so mürrisch, weil er noch nicht zu Mittag gegessen hat, stimmt’s, Sam?«, fragte Charlotte.
Raina lachte, weil sie sehr wohl wusste, dass er immer mürrisch war. Aber es war klar, dass Charlotte versuchen würde, auch das ruppigste Verhalten gerade zu biegen.
»Wie willst du das wissen?«, fragte er.
Raina wusste, dass
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