Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Kopf zum Stall hinaus, aber es war nicht Jóis Auto. Trotzdem rannte sie rüber zum Haus, um zu schauen, wer zu Besuch gekommen war. Von Mal zu Mal wurde sie auf das Reifengeräusch begieriger …
Ein Mann, groß und mit dichtem grauen Bart, hockte bei Elías in der Küche, rührte klirrend im Kaffee und verspeiste eins von Elías’ riesigen, mit Zucker bestreuten Kuchenstücken.
» Hæ «, fragte er kaum verständlich, weil mit vollem Mund, » hæ, hvað segirðu, elskan mín? – Hallo, wie geht’s, Schätzchen?« Den Rest verstand sie nicht, aber Elías sagte etwas, worauf beide Männer zu lachen begannen. Lies zog einen Flunsch. »Blöde alte Säcke«, zischte sie und wollte sich zurückziehen, da winkte der Mann, schob eine Kaffeetasse heran und befüllte sie. Immer noch schlecht gelaunt, drückte sie sich auf die Bank. Kuchen bot Elías ihr nicht an. Er war so verdammt eigen mit seinem Süßkram, schlimmer als ein dreijähriges Kind. Mit verkniffenem Mund rührte sie Zucker in den Kaffee. Zucker wenigstens war für alle da auf Gunnarsstaðir.
»Willst du was aus der Stadt?«, fragte der Mann so deutlich, dass sogar sie es verstand, und schwenkte... den Einkaufszettel aus der Speisekammer! Lies schluckte aufgeregt. So lief das also mit den Besorgungen! Die Liste wurde abgeholt. Ihr Gehirn lief Amok – mitbringen, was mitbringen, was – was mitbringen, mitbringen – was …
» Sukkulaði - Schokolade«, sagte sie mühsam. Und: » Takk fyrir .«
Die Männer lachten, Elías grimmig, der andere nett.
»Ein süßes Haus«, sagte der Kaufmann. »Also Schokolade. Weiter nichts?« Aufgeregt schüttelte sie den Kopf. Was noch... noch... was, Schokolade... Schokolade... Alle Essensträume waren zerstoben, alle, jeder einzelne, wovon hatte sie bloß immer geträumt, was sich in hungrigen Träumen vorgestellt? Ihr fiel verdammt noch mal nichts ein, was sie vermisste.
» Sukkulaði «, sagte sie fest und nickte noch einmal dazu.
Die Männer wechselten ein paar Worte, der Kaufmann deutet auf Lies und zuckte mit den Schultern. Dann stand Elías auf, verschwand in der Speisekammer und kam mit einem seiner Schokoriegel zurück – jene, die Lies schon hundertmal sehnsüchtig angeschaut hatte und die ein dickes imaginäres Abgezählt!!!! auf der Packung stehen hatten! Seine dichte Braue hüpfte kurz hoch, als er ihr den Riegel hinschob.
» Smakkaðu þetta – Probier das!«, nuschelte er.
Sie starrte ihn fassungslos an. Noch mal nickte er. Mit zitternden Fingern nestelte sie den Riegel aus dem rotwei ßen Papier. Schokolade. Schokolade! Fast bekam sie keine Luft. Schokolade! In handliche Stücke unterteilt, lachte der Riegel sie an – iss mich, beiß mich, lutsch mich – ein Blick zu Elías, der gespannt abwartete – und Lies biss zu.
»Ohhhh!«, machte sie mit vollem Mund, als ihre Zunge das Innenleben des Schokoriegels erschmeckte – das bestand nämlich aus Lakritz. Du lieber Himmel – Lakritz in Schokolade! Zuerst fand sie das ekelhaft, aber bei längerem Kauen entpuppte es sich als die beste Kombination, die sie je in ihrem Leben gegessen hatte. Und sie strahlte die beiden Männer wie ein Weihnachtsengel an. »Das hier, bitte – Af þessu .«
Der Kaufmann lachte gutmütig, als er aufstand und den Einkaufszettel in der tiefen Hosentasche verschwinden ließ. Beide Männer verließen die Küche ohne ein weiteres Wort. Elías kam nicht zurück, durchs Fenster sah sie, wie er gebückt und mit Händen in der Hosentasche zum Stall rüberhumpelte, während das Auto mit quietschenden Reifen davonfuhr und den blauen Himmel mitnahm. Sie hätte dem Kaufmann gerne für den Schokoladenriegel gedankt, der weich an ihrem Gaumen zerschmolz und ihren Tag verschönerte.
4. Kapitel
An einem besonders unfreundlichen Tag kam der Kaufmann zurück.
Der Himmel war dunkelgrau und wolkenverhangen, und irgendwie brummte das Land. Nicht der Wind, nicht der Boden – die Luft brummte bedrohlich und trieb alle Lebewesen in ihre Schlupfwinkel. So auch Lies. Sie hatte sich morgens nach dem Füttern, als im Schafstall alles ruhig war, entschlossen, Hausputz zu halten, und Elías hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, als er sie mit Schrubber und Eimer hantieren sah. Er schien genau wie das Wetter draußen einen schlechten Tag zu haben, denn er verschwand wortlos in seinem Schlafzimmer und knallte die Tür so nachdrücklich ins Schloss, dass Lies nicht mal im Angesicht eines Vulkanausbruchs gewagt hätte, ihn da rauszuholen.
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