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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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rechts noch links schauend, wo eh nur graue Berge finster auf Fehltritte lauerten. In den Stall folgte die schmutzstarrende Vergangenheit ihr seltsamerweise nicht. Der Stall war zu einem neutralen Ort geworden, wo weder Streit noch schlechte Laune Zutritt hatten. Ob das an der Unschuld der Lämmer lag?
    Viel war nicht zu tun. Alle Schafe schienen ruhig, die meisten der Lämmer lagen da und schliefen. Das Pferd döste in seiner Lieblingsecke vor sich hin und drehte ihr nur ein Ohr zu. Die Tage, wo es vor Schreck fast die Wand hochgesprungen war, wenn sie mit Futter kam, lagen zum Glück hinter ihnen. Ein Name für das weiße Pferd war ihr dennoch nicht eingefallen. Aber wenn sie mit ihm sprach, wusste es, dass es gemeint war.
    Ein bisschen Wasser nachfüllen, hier und da Heu vorlegen, und die Folie eines neuen Großballens aufschlitzen. Die Ballen lagen alle wie grüne Marshmallows nebeneinander im Wellblechteil des Stalles, ein geschickter Traktorfahrer hatte sie durch das hintere Scheunentor hineinbugsiert, da Elías seinen Traktor offenbar schon seit Jahrzehnten nicht mehr benutzte. Dreimal lief sie um den Ballen herum, dann hatte sie das Netz abgewickelt und faltete es zu einem dicken Strang. Lies liebte den Duft des frischen Ballens und steckte ihre Nase tief in das würzige, aromatisch riechende Futter. »Schaf müsste man sein«, murmelte sie. »Lieber das hier als gammeliges Fleisch...« Der Gedanke an den Kühlschrankfund schüttelte sie noch nachträglich.
    Die Folie wurde in einer Ecke gestapelt, wozu auch immer – sie tat nur, was sie bei Elías beobachtete. Vielleicht verbrannte er sie irgendwann. Sicher gab’s hier keinen amtlich beauftragten Aufpasser – wer würde schon nach Gunnarsstaðir kommen, um zu kontrollieren, was im Feuer brannte. Der Spitz, der sie begleitet hatte, kuschelte sich in sein Wollnest und beobachtete sie träge, doch längst nicht mehr so wachsam wie am Anfang. Und manchmal, wenn sie an ihm vorbeilief, wedelte er sogar mit der Schwanzspitze. Sie war keine Gefahr mehr, sie gehörte jetzt zum Haushalt.
    Das fühlte sich merkwürdig an. Sie gehörte zum Haushalt.
    Nein. Das fühlte sich gut an.
     
    Eines der Schafe stöhnte. Lies legte das Messer auf die Fensterbank und machte sich auf die Suche. Das Schaf lag in einer Reihe mit anderen Schafen im Laufstall, den Rücken gegen die Wand gedrückt. Seine stieren Augen waren leer, und es drehte auch nicht den Kopf, als sie sich heranpirschte. Eine rosafarbene Zunge leckte die dünnen Lippen, wieder und wieder. Lies hatte erst einmal gesehen, dass ein Schaf sich das Maul leckte. Damals hatte Elías ihr erklärt, dass das Tier Schmerzen hatte. Hier stimmte etwas nicht. Zwei Schafe sprangen auf die Füße und zogen es vor, das Weite zu suchen – dieses blieb einfach liegen und stöhnte wieder leise. Ganz offenbar war eine Geburt im Gange. Lies’ Herz begann zu klopfen.
    Wie sie es bei Elías gesehen hatte, klemmte sie eine weitere Holztür in den Boxengang und machte sich daran, das Schaf in seine neue Box zu treiben. Schwerfällig erhob das Tier sich und humpelte vor ihr her, mit tiefer Stimme abgehackt blökend, als wollte es sich über das Ungemach beschweren, hochschwanger fortgetrieben zu werden.
    »Nanana«, sagte Lies leise und band das Holzgatter hinter sich an den Seiten fest. Der eine Laufstallgang war auf diese Weise schon zu lauter Einzelbehausungen geworden. Gespannt setzte sie sich auf die Brüstung und wartete. Im Stall herrschte gespannte Stille. Leises Mümmeln, Klackern, wenn Lämmer auf dem harten Boden umhersprangen. Hier und da ein mütterliches Blubbern, wenn sie es zu toll trieben. Irgendwo schmatzte es beim Milchsaugen. Das Schaf stöhnte, langgezogen und qualvoll. Mühsam erhob es sich, drehte sich einmal um sich selber. Es sah auf seinen Bauch und knickte mit den Vorderbeinen wieder zum Liegen ab. Es hechelte, für einen Moment sah man die rosige Zunge hervorblitzen, rechts geleckt, links geleckt, wieder rechts... Das Schaf litt sichtlich. Wäre Elías nicht im Bett gewesen, Lies hätte ihn geholt. Aber so, wie er die Tür hinter sich zugeknallt hatte, verspürte sie keine Lust, angeblafft zu werden. Krampfhaft überlegte sie stattdessen, was er hier wohl tun würde. Das Schaf machte keinen guten Eindruck. Seine grünlichen Augen wirkten müde und gequält, die Bewegungen schlapp. Man sah deutlich, wie es presste, doch wofür? Nichts bewegte sich, das Hinterteil blieb, wie es war, flach und von langen,

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