Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Nun ja, so hatte sie wenigstens ihre Ruhe. Und zum Glück hatte der Alte ja nicht immer so schlechte Laune. Vielleicht besserte sie sich auch, wenn der Sommer kam. Das graue Wetter konnte einem wirklich die Lust aufs Lachen austreiben. » Þetta kemur «, brummte sie und erhitzte das Putzwasser auf dem Herd, damit ihr die Hände nicht abfielen. » Þetta kemur með tímanum .«
Der Hausputz war nötig – so nötig! »Knüselei« nannte man bei ihr zu Hause, was alte Leute so fabrizierten, wenn sie alleine lebten. Ihre Oma war genauso, und Lies schrubbte sich einmal im Jahr mit ihrer Mutter quer durch die alte Villa, um den speckigen Belag von Omas verwinkeltem Alltag herunterzuwaschen.
Elías’ Leben war wohlgeordnet und äußerst schlicht, aber auch speckig.
In der Küche waren auf dem Regal und im Hängeschrank zentimeterdicke Staubschichten mit Kochdunst verbacken und ließen sich nur mit purer Seife lösen, die alten Kacheln rund um den Spülstein, denen sie rote Farbe entlockt hatte, hielten den Dreck so entschlossen fest, dass sie ihn mit dem Messer abkratzen musste, nachdem er in Seifenlösung eingeweicht worden war. Lies fluchte gerade ausgiebig, als draußen der Schotter knirschte.
Inzwischen wurde sie beim Geräusch von Reifen auf Schotter sofort hellwach – Jói?! Besuch!?
Nein, es war der Kaufmann. Sie trocknete die Hände ab, warf die Daunenjacke über und traf ihn an der Kofferraumklappe seines Pick-ups.
» Jæja, sæta stúlka frá Þýskalandi – Süßes Mädchen aus Deutschland«, begrüßte er sie herzlich, » hvað segirðu - Wie geht’s ? « Er sagte noch viel mehr, was sie aber nicht verstand, weil es aus halbverschluckten, gegurgelten Wörtern bestand und wahrscheinlich auch egal war, außerdem verschluckte der Wind beinahe alles. Gemeinsam hoben sie Kisten und Kartons aus dem Pick-up und schleppten sie in die Küche. Der Kaufmann wischte sich grinsend die regennassen grauen Haare aus der Stirn. In seinem Bart hingen feine Tröpfchen und blinkten verschmitzt. »Ich bin Ari«, sagte er und deutete auf sich.
Lies nickte verstehend. »Lies«, erwiderte sie. »Willst du Kaffee?« Ari nickte und ließ sich schwer seufzend auf die Bank sinken. Sein dicker Bauch passte gerade so hinter den Tisch. Ari sah so aus, als wüsste er gutes Essen zu schätzen. Gutes Essen gab es nicht auf Gunnarsstaðir – sie hätte ihm gerne irgendwas angeboten.
Stattdessen suchte Lies erst mal die Thermoskanne. Am Morgen hatte sie doch noch auf der Anrichte gestanden – ob Elías sie mit ins Schlafzimmer genommen hatte? Im Schrank nicht, in der Speisekammer nicht… also setzte sie heißes Wasser auf, befüllte die Filtertüte mit Pulver und goss das aromatische Getränk in der Porzellankanne auf. Kaffee. Wie oft der Duft sie schon aufgemuntert hatte in den letzten Wochen... Der Rest würde nun kalt werden, wenn sie die Thermoskanne nicht fand, Elías würde sicher über die Verschwendung schimpfen. Sie stellte Tassen auf den Tisch, und während der Kaffee durchtröpfelte und in der Nase kitzelte, durchsuchte sie schon mal die Kisten, was in die Kühlkammer geräumt werden musste. In einem Karton am Boden fand sie einige Knäuel grauer Wolle, was sie sehr verwunderte. Fragend hielt sie das Knäuel hoch. Ari deutete auf seinen Pullover.
»Elías strickt«, sagte er. »Pullover. Socken.«
Lies grinste. »Er strickt.«
Ari nickte. »Elías strickt. Das tut er, jæja . Er strickt.« Die Vorstellung eines alten Mannes mit Strickzeug am Ölofen war amüsant – sehr amüsant, und grinsend räumte Lies weiter in der Kiste herum.
Und sie fand Arzneimittel.
Vier Fläschchen mit einem Pulver, drei mit einer Flüssigkeit und eine Schachtel Stechampullen. Sie hob die Brauen. Wo bewahrte man das auf?
Ari deutete auf die Fläschchen. »Schaf«, sagte er, dann auf die Schachtel, »Elías.«
›Insulin‹ stand auf der Schachtel. Ratlos legte sie das Zeug auf die Fensterbank. Insulin. Insulin. Das nahm doch die Oma jeden Morgen, da kam eine Schwester und gab ihr Spritzen in den Bauch. Insulin. Oma durfte keinen Zucker essen.
Jói hatte gesagt, dass Elías krank war. Sie kaute auf der Lippe herum. Verflucht, der Alte war zuckerkrank. Und stopfte sich trotzdem mit Schokoriegeln, löffelweise Zucker und Kuchen voll. Wie konnte so was gut gehen?
»Elías ist Elías«, sagte Ari leise und nickte, als habe er ihre Gedanken erraten und als erkläre dieser eine Satz alles. Vielleicht tat er das sogar.
»Hat Elías
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