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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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schien sich zu legen. Oder roch sie den nur nicht mehr?
    An einem windstillen Tag wagte sie es sogar, die Nachmittagsbutterbrote draußen zu servieren, und er folgte ihr ohne Murren oder dumme Bemerkungen. Im Gegenteil – er saß still auf seinem Stuhl und schaute das Bergmassiv auf der gegenüberliegenden Seite der Jökulsá an. Ein laues Lüftchen wehte, Vögel schwangen sich in Fangspielen akrobatisch kunstvoll in die Luft. Die Berge lächelten. In der Ferne toste die Jökulsá, manchmal konnte man Fontänen hochsprühen sehen, der Gletscherfluss führte zur Zeit sehr viel Wasser. Lies aß ihr Butterbrot mit Genuss, und es störte sie nicht, dass Elías kein Wort sprach, allerdings fragte sie sich auch, worüber er nachsann. Es war ihm nichts anzumerken. Und so tröstete sie sich mit einem Schluck süßem Kaffee, dass sie dies, wie vieles andere, niemals erfahren würde.
    Am nächsten Morgen klopfte er sehr früh an ihre Zimmertür. Erschrocken sprang sie aus dem Bett und öffnete. Statt einem Morgengruß, den es immerhin neuerdings gab, forderte er sie wild gestikulierend auf, sich anzukleiden und mitzukommen. »Wir arbeiten heute«, sagte er.
    »Tun wir das nicht jeden Tag«, brummte sie und schlüpfte in die Jeans.
    »Heute arbeiten wir draußen. Komm.«
    Sie hatte gerade noch Zeit, einen Kaffee hinunterzukippen und sich ein paar Scheiben Brot in die Tasche zu stopfen, da erschien Elías schon wieder in der Tür und mahnte zur Eile.
    »Was willst du denn arbeiten?«, rief sie ihm hinterher, denn er zog schon wieder ab, weil ihm das Schuheanziehen zu lange dauerte.
    »Wir gehen auf die Wiese.«
    »Wir gehen auf die Wiese, soso.« Das konnte ja lustig werden. Was bitte tat man auf der Wiese? Die frischwürzige Luft draußen jedoch vertrieb ihre schlechte Laune, und außerdem stand Sörli vor dem Haus. Ohne Halfter und Seil stand er da und wartete, dass sein Herr mit dem Zusammensuchen des Ledergeschirrs zurande kam. Ein großer Haufen Lederzeug lag nämlich auf dem Schotter. Lange Riemen, kurze Riemen, Schnallen, Stricke, Bänder, und der Alte räumte brummend hin und her, und Sörli sah ihm interessiert zu. Dann schien er den Anfang gefunden zu haben: ein Gebiss für das Maul, einen Riemen für den Kopf, ein breites Lederteil, welches um die Brust und über den Kopf gezogen wurde, hinten hingen lange Leinen. Sörli war fertig zum Anspannen.
    »Wo fahren wir denn hin?«, fragte Lies amüsiert.
    »Wir gehen arbeiten«, knurrte der Alte. Ein Schnalzen, der Hengst trat an, in Richtung Scheune, wo bereits ein mit weißen Säcken beladener Karren wartete. Lies fragte lieber nicht, wer die Säcke auf den Karren gehievt hatte...
    Sörli blieb brav stehen, als die Deichsel rechts und links neben ihm auftauchte und Elías sie am Geschirr festband. Und als er den Befehl zum Losgehen gab, schaute der Hengst äußerst wichtig drein, denn dies hier war eine Arbeit, die außer ihm niemand verrichten konnte und die er offenbar seit vielen Jahren mit Vergnügen ausführte. Jedenfalls blitzten seine schwarzen Augen unter dem wei ßen Schopf, und er prustete vor sich hin.
    »Wo gehen wir arbeiten?«, fragte Lies vorsichtig, sie hatte immer noch keinen Schimmer, was sich wohl in den Säcken befand. Elías deutete in die Ferne. »Wo?«, fragte sie dumm und versuchte seinem wild herumdeutenden Finger Blicke hinterherzuschicken – ohne Erfolg. Das Ziel des Fingers war die Ferne am Fuß der Berge. Elías hängte sich eine Ledertasche um und nahm Sörlis Zügel in die Hand. Um ihn nicht ärgerlich zu machen, folgte Lies ihm einfach schweigend. Sie marschierten in eine Richtung, in die sie bisher noch nie gelaufen war, weil es dort nichts für sie gab – keinen Stall, keinen Misthaufen, keinen Zaun. Das hügelige Gelände hinter den Weiden östlich von Gunnarsstaðir, wo die Autos von Jói und Ari stets herkamen, war bisher außerhalb ihrer vorsichtigen Erkundungsgänge gewesen. Doch nun war sie ja nicht allein, und die Berge blieben zahm.
    Das Bild des vor ihr gehenden alten Mannes mit dem Pferdewagen hatte etwas Altertümliches, Schönes, Friedliches. Es hatte etwas von Ewigkeit. Das Bild besänftigte die wilde Natur, es lockte eine Schönheit, die sich sonst eher scheu versteckte, zwischen Steinen und Erdhügeln hervor und brachte sie dazu, zu verweilen und sich in der Sonne zu entfalten: sattglänzende Moosstücke, winzige Pfützen, in denen sich Wolken spiegelten, schwefelgelbe Steine auf zermalmter, roter Erde. Seidenweiches

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