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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Gras, das sich im Wind wiegte, schmale Ähren vom Vorjahr, die zur Melodie des Windes nickten. Eine gleißend-schimmernde Quelle, die aus dem Boden kam, in einer Senke einen kleinen Tümpel bildete und kurz darauf wieder im Boden verschwand, zwei Vögel, die sich am klaren Wasser labten und lustvoll in dem Tümpelchen badeten... Lies holte tief Luft.
    Island war schön.
    Sie geriet ins Schlendern. Schloss die Augen, ließ sich das Haar vom Wind verwirbeln, atmete einfach. Die aufkommende Würze aus der Wiese kitzelte ihre Nase, wilder Dost, wilder Knoblauch, frisches Grün. Sonne im Gesicht. Das Blau des Himmels, so intensiv blau, dass es durch die Lider durchschien, ihren Kopf erfüllte, ihr Herz berührte.
    Immer weiter blieb sie zurück, ließ ihre Blicke schweifen und blieb immer wieder an dem ungleichen Gespann weiter vorne hängen – der stolze weiße Hengst mit der üppigen Mähne, die bei jedem Schritt lustig wippte, und der gebeugte alte Mann, der in der einen Hand den Zügel hielt, die andere Hand auf den Hals des Pferdes gelegt hatte und Schritt für Schritt mit ihm das schwierige Gelände hinter sich brachte. Sie hörten einander zu – strauchelte der Alte, blieb der Hengst sofort stehen. Hakelte der Karren, befreite Elías das Rad oder trat Steine aus der Spur, damit es leichter vorwärtsging. Die beiden kannten den Weg – je weiter sie sich entfernten, desto deutlicher sah man die Spuren eines uralten Weges in der aufwachenden Grasnarbe. Ein Weg, den vielleicht schon seine Väter benutzt hatten, den Generationen von Pferden entlanggegangen waren, um Waren aus dem Tal zu bringen. Früher hatte man dazu den Pferden die Last auf den Rücken gelegt – sie hatte Fotos in einer Zeitung gefunden, und solch ein altes Lastengerüst hing auch in der Scheune.
    Doch es gab niemanden mehr auf Gunnarsstaðir, der stark genug war, Lasten auf das Pferd zu heben. So zog es den Karren, der sicher so alt war wie das hölzerne Lastengerüst, und nichts unterschied es darin von seinen vierbeinigen Vorfahren. Nichts außer den Plastiksäcken, deren Inhalt Lies immer noch nicht erriet.
    Etwa zwanzig Fußminuten vom Hof entfernt schwang sich eine hölzerne Brücke über die Jökulsá. Es polterte furchtbar, als Sörli über die hölzernen Planken marschierte, er lief jedoch unbeirrt und gleichmütig weiter, als gehöre dies zu seinem täglichen Weg.
    Und zum ersten Mal, seit Lies auf Gunnarsstaðir weilte, stand sie auf der anderen Seite des Flusses, nachdem sie mit geschlossenen Augen über die Brücke gehuscht war, weil sie Angst hatte – Angst vor der Höhe, vor dem Tosen unter sich, Angst davor, einzubrechen …
    Ach, Unsinn!
    Elías lächelte, als sie bei ihm ankam. »Das ist die andere Seite«, sagte er, und es war nicht ganz, klar was er damit meinte. Klar jedoch wurde, was er mit Arbeit gemeint hatte, denn in den Säcken befand sich Dünger, den er mit beiden Händen in Plastikschüsseln füllte. Sörli wurde ausgeschirrt und genoss nach getaner Arbeit das Gras, welches hier mit Sicherheit besser schmeckte als auf der bekannten Seite des Flusses. Und Lies bekam die kleinere Schüssel mitsamt einem Paar Arbeitshandschuhen in den Arm gedrückt. Hunderte von kleinen weißen Perlen ran nen durch ihre Finger, es roch durchdringend nach Kalk und irgendwas Chemischem. Elías zeigte ihr mit ein paar Handbewegungen, wie die Perlen zu werfen waren. Einen schönen Bogen mit dem Arm, die Hand rechtzeitig öffnen und die weiße Pracht davonfliegen lassen …
    Nebeneinander her schritten sie über die Wiesen und warfen den Dünger, die Wiese schluckte ihn dankbar und bewahrte ihn bis zum nächsten Regen, wo er sich auflösen und den Boden mit Nährstoffen für gutes Gras versorgen würde. Sie warfen den ganzen Vormittag, und als die Sonne steil stand, war Lies’ Oberarm lahm, das Kreuz wundgedreht, und die Schulter schmerzte entsetzlich. Der Alte warf, zäh wie Sohlenleder, weiter, während sie auf dem Karren ausruhen musste. Aller Duft, alle Romantik, Farbe, Träumerei – weg. Sie war hundemüde.
    Irgendwann kam er zu ihr und nestelte an der Ledertasche. Gekochtes Fleisch kam zum Vorschein, und die Thermoskanne, in der süßer Kaffee verführerisch duftete. Da Lies nur ein bisschen Brot geknabbert hatte, war sie jetzt natürlich hungrig wie ein Bär, und Elías lächelte über ihren Appetit.
    »Warum kann das nicht eine Maschine machen?«, fragte sie mit vollem Mund.
    »Ich hab keine Maschine«, brummte er und kippte den

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