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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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flüsterte sie, » when the hurlyburly’s done - trink, kleines Mädchen …« Schluck für Schluck, Pause machen. Lies wollte sich am liebsten ohrfeigen. Ihre Schuld. Man sollte meinen, dass die Schafe selber klarkommen – taten sie nicht. Stets musste man aufpassen, auf der Hut sein, nach dem Rechten schauen. Dieses hier immerhin schien vorerst gerettet. Als der Bauch weich und rund von der Milch war, legte sie das Lämmchen wieder auf seinen Platz, wo es zufrieden einschlief. Leider schien die Mutter nicht so begeistert von ihrem Nachwuchs zu sein, denn als Lies das nächste Mal an der Box vorbeikam, sah sie, wie das Lämmchen auf seinen Beinen stand und versuchte, bei der Mutter zu trinken, und wie die es vertrieb.
    Hurly-Burly blieb ein Flaschenkind. Alle Versuche, es seiner Mutter oder einem anderen Muttertier unterzuschieben, schlugen fehl. Als ob es einen unsichtbaren Makel trug, oder einen unschafigen Geruch, scheuchten die Schafe das Lamm umher, und Lies musste es aus den Boxen herausheben, bevor sie es zertrampelten. Tagelang dachte sie nach, was sie mit ihm anstellen sollte, und entschied sich dann, aus zwei Boxen eine große zu machen, wo fortan zwei Schafmütter und fünf Lämmer herumsprangen – und Hurly-Burly sprang mit ihnen. Sie durfte weiterhin an kein Euter, aber sie hatte Spielkameraden, Nestwärme, und gefüttert wurde sie von Lies.
    Ob Elías das so toleriert hätte, wusste Lies nicht, und auch nicht, wie viel ein Isländer für ein einzelnes Tier tat, beziehungsweise wie unwichtig ein einzelnes Tier für ihn war. Aber da er nicht gucken kam, scherte sie sich nicht darum und machte das, was ihrer Meinung nach sinnvoll war. Für sie hatte das Leben eines jeden Lammes Sinn.
    Mit den Wochen eroberte die Sonne dann doch das Land. Das Gras auf der Ebene wuchs mutiger, immer mehr grüne Spitzen wagten sich hervor, und Sörlis magere Knochen verschwanden hinter einer wohltuend fleischigen Schicht, weil er mit plötzlich erwachendem Appetit sein Heu fraß. Überall flogen weiße Haare von ihm herum, er fand Holzbalken und Steine, um sich zu schubbern, und wälzte sich hingebungsvoll in einer Staubgrube, um das dichte Winterfell loszuwerden. Manchmal konnte sie beobachten, wie ihm der Frühling in die Knochen schoss und wie er unvermittelt losgaloppierte und hinter der Senke verschwand. Sie bereute es kein Mal, ihn draußen gelassen zu haben.
    Die ersten Schafe samt Lämmern hatte sie eigenmächtig auf die Wiese gelassen, nachdem ihr ein paar muntere Lämmer an der Tür entgegengeturnt kamen und sie erst nicht wusste, welches Lamm zu welcher Mutter gehörte. Alle Versuche, die muntere Bande einzufangen und in die jeweiligen Boxen zurückzutragen, schlugen fehl, die kleinen Biester waren schneller, und Lies fand sich nach dem dritten Versuch auf der Nase im Futtergang wieder. Wutschnaubend hatte sie daraufhin die großen Scheunentore geöffnet, die Boxenabtrennungen weggeschoben und alles, was nicht zu klein und zu schmächtig war, mitsamt Mutter in die Freiheit entlassen.
    Zuerst war die Panik groß, alle rannten laut blökend und völlig kopflos durcheinander, doch nach kurzem Herumsuchen und gegenseitigem Anblöken und Fellbeschnuppern hatte zueinander gefunden, was zusammengehörte, und die Lämmer begannen, den neuen Lebensraum zu erkunden. Kühn galopppierten die Tierchen über Stock und Stein, je schneller, desto besser, und fielen unvermutet schnell und müde ins Gras, um einige Minuten neben einem Freund zu schlafen – kam ein anderer Freund, waren sie genauso schnell wieder auf den Beinen. Sie hüpften herum, schauten, blökten, meckerten, rannten zur Mama, sanken auf die Vorderbeinchen und tranken durstig, zwei Schlucke, drei Schlucke, um gleich darauf wieder abzuschießen wie kleine weiße und schwarze Blitze, mit allen vieren zugleich erst in die Höhe und dann davon, weil das Leben so spannend war und man seine Augen überall haben musste. Lies konnte nicht anders, sie musste ihnen zuschauen und ließ sich von der Unschuld und der kindlichen Tollpatschigkeit mitreißen und lachte so befreit wie schon lange nicht mehr, statt im Stall weiterzuarbeiten.
    » When shall we three meet again «, keifte sie kichernd, » when the hurlyburly’s done ...« Auch das schwarze Waisenlamm, das sie Hurly-Burly getauft hatte, sprang durch die Luft, und dann sah sie, wie es sich unter einem Mutterschaf auf die Vorderbeine fallen ließ – und schmatzend trank. Es hatte doch noch eine Adoptivmutter

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