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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Pferd wartete vor dem Stall stets auf sie und brummelte ihr zu, wenn sie die niedrige Tür anhob, um im Dunkel des Schafstalls zu verschwinden. Es hörte sich mitleidig an. Wie der Wärter, der hinter dem Gefangenen abschliesst.
     
    Ohne Sörlis Scharren und Schnauben war es tatsächlich ziemlich ruhig im Stall.
    Seufzend nahm Lies das gerupfte Heu auf die Arme und stolperte den Futtergang entlang. Das Blöken der Schafe war die Musik dieses Balletts ohne Zuschauer, manchmal tanzte Lies über den Holzboden und stellte sich vor, er wäre eine Bühne. Doch die Schafe waren ein undankbares Publikum – so mochte sich Shakespeare gefühlt haben, als er einer quatschenden, saufenden und lachenden Zuhörerschaft seinen dramatischen Hamlet nahebringen wollte.
    » When shall we three meet again, in thunder, lightning, or in rain? «, knurrte sie zärtlich in das Fell der zwei schwarzen Lämmer von vorgestern, die so weich zu knuddeln waren. » When the hurlyburly’s done, when the battle’s lost and won …« Wunderbar. Macbeth passte einfach überall. Die Lämmer fanden das allerdings nicht, sie protestierten, und so ließ sie sie wieder zu Boden gleiten. »Kleine Kulturbanausen.«
    Das Schaf in der Nachbarbox stöhnte. Auch hier würde es bald so weit sein, es legte sich in der Ecke zurecht und hechelte vielversprechend. Lies war stolz auf sich, wie sie solche Veränderungen inzwischen wahrnahm und beinahe jede Geburt souverän managte. »Dafür, dass mir hier niemand großartig was gezeigt hat, nich’ wahr«, brummte sie und reckte sich, »mach’n Sie das ganz gut, Frau Odenthal, nich’ wahr. Ich werde Sie für eine B’förderung zur Ob’rhebamme vorschlag’n.« Wie gut sie seine Stimme immer noch nachahmen konnte. »Ob’rhebamme. Ich verdde Ssie für eine B’förderung vorschlag’n. Nich’ wahr.«
    Beförderung. Pfffff. Lange her, dass sie an Packbier gedacht hatte. »Pfffff...« Sein Geist wehte unheilbringend vorbei, kalt und muffig, unwillkürlich sah sie sich um, doch natürlich hatte niemand den Stall betreten. Elías nicht, und ›bei Gelegenheit‹ war auch nicht eingetreten.
    Ach. ›Bei Gelegenheit‹. Sie seufzte sehnsüchtig, und es tat im Magen weh, daran zu denken.
    In der Box neben der Gebärenden ruhte sich ein Lämmchen am Rücken der Mutter aus, wie ein kleines Stofftier kuschelte es sich ins warme Wollnest. Lies erinnerte sich daran, dass in dieser Box noch ein zweites Lamm dabeigewesen war – wo steckte es nur? Leise kroch sie näher und fand es halb unter dem Balken versteckt. Das Lamm lag still, die Beine von sich gestreckt, den Kopf schlaff am Boden.
    Tot??
    »Nein! Nicht schon wieder eins!« Ärger vertrieb jeglichen leichten Sinn und auch die Sehnsucht, die Verantwortung sprang stattdessen in ihr Genick. Tote Lämmer waren... schrecklich. Furchtbar. Jedes tote Lamm war eins zu viel. Flugs hockte Lies in der Box und hob das Lamm hoch. Wie konnte ihr nur entgangen sein, dass hier eines hungerte? Die Haut blieb stehen, wenn man sie anhob, und es schaute aus trüben Augen in die Welt. Selbst das schwarzgelockte Fell sah stumpf aus, und die weißen Flecken, die es wie ein Käppchen auf dem Kopf und an den Beinen trug, stachen ins Auge – aber es lebte!
    Entschuldigend drückte Lies das Tierchen an sich. »Möööööönsch, kleiner Muck...«
    Was sie danach tat, ging ihr erstaunlich leicht von der Hand. Die Flasche geholt, das Schaf hochgescheucht und mutig an den Hörnern gepackt. Natürlich wehrte sich das Vieh, schlug mit dem Kopf, doch Lies war schneller und hatte mit einem Strick schon das Gehörn an die Trennwand festgebunden. Noch vor wenigen Wochen hatte sie das nicht gewagt – heute griff sie mutig zu, erst das eine Horn, dann das andere. Was für ein großartiges Gefühl! Manchmal, wenn sie zu zögerlich vorgegangen und das Schaf vor ihr davongeflitzt war, hatte sie sich vorgestellt, die Hörner seien körperliche Bestandteile von Packbier – dann ging es. Zügig sogar. Sie musste grinsen. Heute ging es sehr zügig, weil sie sehr entschlossen war, ihren Fehler wiedergutzumachen. Das Schaf zuckte ein paar Mal, bockte, dann hielt es inne, als sie sich gegen seinen Körper drängte und die Hörner festband.
    »Na also.« Ergeben in das seltsame Schicksal des Sichnicht-bewegen-Dürfens, blieb das Schaf still, und Lies konnte Milch aus dem vollen Euter in die Flasche abmelken.
    Die Milch war für das Lamm Rettung in letzter Minute, fast war es zu schwach zum Trinken.
    »Komm«,

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