Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Kleinkindern riechenden, wolligen Viecher mit ihren empfindsamen Nasen und dem altklugen Blick.
»Wie konnte ich es nur so lange am Schreibtisch aushalten?«, brummte sie und schob die Karre zurück in den Stall, ohne den Mist noch großartig wahrzunehmen – er gehörte einfach zum Leben dazu. »Wie zum Teufel hab ich das nur so lange geschafft?? Heeeelvíti ...«
Im Vergleich zu einer fehlerhaften Steuererklärung oder Packbiers Unterstellungen war Schafsmist Milchschokolade mit Zuckerglasur …
»Schafs draumur «, lachte Lies und stieß den Spaten mit Schwung tief in die schwarze Masse, die für frühere Generationen offenbar viel mehr bedeutet hatte: Im allerletzten Winkel der Scheune hatte sie nämlich einen uralten, verrosteten Ofen entdeckt und daneben einen Haufen getrocknete Schafsdungstücke, in handliches Format zurechtgeschnitten und ordentlich aufgestapelt – Heizmaterial für schlechte Zeiten. Auch in Island warf man offenbar nichts weg.
Die letzten beiden Lämmer, die in diesem Frühjahr geboren wurden, mussten ihre »Mäntel tauschen«, und Lies hätte viel darum gegeben, das nicht erleben zu müssen. Es war an dem Tag, an dem Elías sich stark genug fühlte, in den Stall zu kommen und nach dem Rechten zu schauen, und er am Frühstückstisch sogar mehr als drei Sätze mit ihr gesprochen hatte. Ein guter Tag also eigentlich.
Lies half gerade dem Schaf mit dem schwarzen Fleck auf dem Rücken, jenes, das so zutraulich war und aus der Hand fraß. Die Geburt war schwierig, ein totes Lamm hatte sie schon aus ihm herausgezogen, und stinkender Schleim hing ihr bis zum Ellbogen. Jedes Mal war da die Horrorvorstellung, das Zeug könnte sich nicht mehr runterwaschen lassen... Tapfer kämpfte sie gegen das Würgen an und tauchte erneut in die glibbrige Wärme der Schafsgebärmutter, wo ein zweites Lamm auf Hilfe hoffte. Zwei Beine, noch eins, ein Kopf – alles normal. Elías beugte sich über die Brüstung und murmelte was von »beherzter« und »nicht zaudern«, und das klang sogar fast nett. Zwischen Heu und unschuldigen Lämmern schien sich seine üble Laune nicht so recht entfalten zu können. Vielleicht hatte er auch inzwischen eingesehen, dass Lies eine gute Hilfe im Stall war.
Lies zog also an dem Lamm, griff und packte nach, weil es ihr immer wieder aus den Fingern flutschte. Dann hatte sie es endgültig und zog es aus dem Schaf heraus, und ein ganzer Schwall von übelriechender Fruchtwasserbrühe kam hinterher und rann an seinem Hinterteil herab... das Lamm war ebenfalls tot. Vollausgebildet, äußerlich gesund und gut gebaut – aber tot.
»Warum?«, flüsterte Lies fassungslos, »warum nur?« Sanft wischte sie mit einem Heubündel den Schleim vom Fell, und die Schafmutter drehte sich herum und leckte ihr totes Junges, als habe sie noch nicht bemerkt, dass es niemals neben ihr stehen würde. Kein Junges würde neben ihr stehen. Eine Welle der Schwermut wehte durch die Box.
»Für manche ist etwas anderes vorgesehen«, sagte da der alte Mann. Schweigend betrachteten sie das tote Tierchen. Balken knackten, Heu raschelte. Irgendwo blökte mit tiefer Stimme ein Mutterschaf. Das Leben war bisweilen seltsam. Ungerecht. Der kleine Ísak kam ihr in den Sinn und weshalb er so früh hatte sterben müssen. Sie schielte nach Elías, dessen Blick düster und grimmig auf dem toten Lamm hing. Was wohl in seinem Kopf vorging? Lies schluckte. Ob er auch an Ísak denken musste?
Eine Nachgeburtswehe drückte den Mutterkuchen nach außen. Lies fasste die herabhängende Nabelschnur und zog das schwammige Gebilde vorsichtig aus dem Schaf heraus. Es sah vollkommen intakt aus. Manche Dinge waren eben nicht zu erklären.
In der Nachbarbox indes hatte ein Drama anderer Art begonnen. Drei Junge hatte das braune Schaf geboren, drei hübsche schwarze Lämmer, zwei Böckchen und ein weißgeflecktes Mädchen. Als Lies dort nach dem Rechten sah, musste sie schlucken: Zwei der Lämmer tranken eifrig an den Strichen, das dritte, schwarze Lamm jedoch wurde von der Mutter mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen. Traurig meckernd und torkelnd flüchtete das Kleine, doch egal wohin es lief, sie verfolgte es in jede Ecke und versuchte offenbar, den überzähligen Trinker loszuwerden. Elías und Lies sahen sich das eine ganze Weile mit an.
»Für manchen ist etwas anderes vorgesehen«, sagte Elías wieder. Das Lämmchen war erschöpft zu Boden gesunken. Und bevor das dicke Schaf sich mit den Füßen auf den kleinen Körper
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