Der letzte Massai
nicht an die Leine legen und hoffte, dass ihr Beweggrund Liebe war und nicht etwa schlichte Angst, allein zu sein.
Wenn sie an diese Zeit zurückdachte, fielen ihr eine Menge Schwierigkeiten ein, aber auch eine Menge aufregender Erlebnisse. Je nach Laune schimpfte sie auf Bill oder dankte ihm dafür. Das Einzige, was sie beide wirklich bedauerten, worüber sie aber selten miteinander sprachen, war der Verlust ihres einzigen Kindes, Billy. Sie war in Australien schwanger geworden, hatte den Jungen in Paraguay zur Welt gebracht und sechs Jahre später in Venezuela begraben. Katherine hasste Venezuela, weil das Schwarze Fieber ihr dort den Sohn genommen hatte, doch sie konnte es nicht ertragen, von dort wegzugehen und Billy zurückzulassen. Schließlich hatte Bill sie überzeugen können, dass sie ihr Leben weiterleben mussten, und so waren sie nach Afrika gesegelt, um neu zu beginnen und zu versuchen, zu vergessen.
Nach so vielen Jahren des Umherstreifens auf der Suche nach einem kleinen Fleckchen, das sie ihr Eigen nennen konnten, war Limuru ein wahrer Segen gewesen. Die Arbeit war hart, insbesondere da sie aufgrund der Pachtauflagen jedes Jahr eine bestimmte Fläche Land roden und große Verbesserungen zur Zufriedenheit der Regierung durchführen mussten, doch schon bald begann die fruchtbare rote Erde der Kikuyu-Berge ihre Mühen zu belohnen. Sie brachten zwei gute Jahre zustande, was besser war als alles, was sie jemals geschafft hatten. Und sie begannen mit vielversprechendem Erfolg, Schafe und Rinder zu züchten.
Es sollte bis zu ihrer Ankunft auf der Farm in Limuru dauern, als Bill endlich den Entschluss fasste, des Umherstreifens müde geworden zu sein, und die Zeit für gekommen hielt, sesshaft zu werden. Nicht dass er dies Katherine gegenüber jemals zum Ausdruck gebracht hätte. Sie bezweifelte, dass Bill überhaupt bewusst war, dass er diese Entscheidung getroffen hatte, doch sie wusste es. Und mit Bill hatte auch Katherine ihren Frieden gefunden.
Ihre Zukunft schien sicher, doch sie spürte, dass Bill mehr benötigte als die tägliche harte Arbeit und die gelegentlichen gesellschaftlichen Ereignisse der kleinen Gemeinde. Sie tat etwas, was sie in all ihrer Zeit, die sie zusammen waren, noch nie getan hatte: Sie forderte ihn auf, an sich zu denken, Freunde und Beschäftigungen zu suchen, die besser zu der abenteuerlichen Seite seiner Natur passten.
Katherine liebte und hasste Abende wie diese, wenn der Tag besonders anstrengend gewesen war und die Seele nach einem Sherry und den sepiafarbenen Erinnerungen der Vergangenheit verlangte. Doch solche Erinnerungen brachten auch den bittersüßen Schmerz des Verlustes mit sich.
Nach Billys Tod hatte Katherines Schwester, die in Schottland verheiratet war, darauf bestanden, dass sie nach Hause kam. Doch sie hatte nicht mehr die Courage, nach Schottland zurückzukehren. Bill hatte ihr die Welt und ein Leben gezeigt, das so weit entfernt war von Heide und Rauhreif, dass es ihr schwerfallen würde, dorthin zurückzukehren.
Aber der wahre Grund, warum sie entschlossen war zu bleiben, war der, dass sie schon einmal einen geliebten Menschen in einem fernen Land begraben und es später bitter bereut hatte und nicht noch einmal einen anderen in seinem Grab zurücklassen wollte – weit enfernt von denen, die ihn geliebt hatten.
Kapitel 8
K atherine bemerkte das junge afrikanische Mädchen zum ersten Mal, als sie mit den Kikuyu-Frauen Unkraut in der Kaffeeplantage jätete. Die Kleine unterschied sich auffallend von den anderen Kindern. Zunächst einmal sah sie nicht wie eine Kikuyu aus. Ihre Gliedmaßen waren lang und wirkten dadurch schlaksig. Sie trug zerrissene Kleidung. Sie spielte nicht mit den anderen Kindern, obwohl sie in einem Alter war – vermutlich acht oder neun Jahre –, in dem ein gelegentliches Kinderspiel anstelle des Jätens geduldet wurde. Und sie machte einen traurigen Eindruck. Etwas in ihrem Verhalten hob sie von den anderen ab; als bewohne sie einen kleinen Raum, den sie zu ihrem eigenen gemacht hatte und der alle anderen ausschloss. Katherine erkannte in dem Mädchen etwas von ihrer eigenen Neigung, zu vermeiden, sich mit anderen Menschen zu befassen.
Nach zwei Wochen fragte sie eine der Frauen, die ein wenig Englisch verstand, zu wem das großgewachsene Kind gehörte.
»Das fremde,
Memsabu?
«, erkundigte sich die Frau und zeigte auf das Kind. »Zu niemand.«
»Es hat keine Familie? Aber wie kann das sein?«
»War mal
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