Der letzte Massai
Massai,
Memsabu.
Jetzt niemand.«
Katherine war fasziniert und entlockte der Kikuyu-Frau in einem mühsamen Unterfangen Stück für Stück die Geschichte des Mädchens.
Vor einigen Jahren hatte ein Vergeltungsangriff der Kikuyu auf ein Dorf der Massai stattgefunden. Damals war das Mädchen zusammen mit einer Reihe von Rindern und Ziegen erbeutet worden. Schließlich griff die Obrigkeit ein und regelte die Angelegenheit. Eigentum wurde, soweit möglich, zurückgegeben und, wo es angemessen war, eine Entschädigung gezahlt, aber das Mädchen war dabei irgendwie übersehen worden. Es war schließlich nur eine unbedeutende Trophäe, dazu bestimmt, einem alternden Kikuyu-Mann angeboten zu werden, der eine junge Frau brauchte, die sich um seinen Gemüsegarten kümmerte und ihm das Bett wärmte.
Katherine vermutete, dass ihre Besorgnis um das seinen Leuten entrissene Massai-Mädchen auf ihre eigene Gemütsverfassung zurückzuführen war, aber die Kleine wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen. Es vergingen noch einige Besuche auf der Kaffeeplantage, bevor sie sich endlich einmal dem Mädchen näherte.
»Hallo«, sagte sie, woraufhin das Kind zusammenschreckte, das beim Jäten in seine eigene Welt versunken gewesen war.
Das Mädchen starrte Katherine für einen Moment in die Augen, bevor es den Blick auf deren Füße richtete.
»Ich habe hier etwas für dich«, sagte Katherine ermunternd. »Sprichst du Englisch?«
Nachdem eine ganze Weile verstrich, ohne dass sie eine Antwort erhielt, sagte sie: »Das scheint nicht der Fall zu sein.«
Sie hockte sich neben das Mädchen, so dass sie in dessen Sichtlinie war. »Schau nur. Das ist für dich.«
Das Mädchen blickte zuerst Katherine an und dann die Orange, starrte darauf, wie ein Welpe einen Knochen anstarrt.
Katherine hielt ihr die Frucht hin, aber die Kleine benötigte einen Augenblick, bevor sie verstand. Sie streckte ihre kleine, schmale Hand zunächst zögernd, dann schließlich entschlossen aus. Sie hielt die Orange vor dem Körper fest und blickte von ihr zu Katherine hinüber.
Katherine sagte ihren Namen und zeigte auf sich. »Und du?«, fragte sie und deutete auf das Kind. Es waren mehrere Versuche nötig, bis es begriff. Schließlich sagte das Mädchen »Katherine« als Antwort auf den zeigenden Finger und dann zögernd »Kira«, als er in ihre Richtung zeigte.
»Hallo«, sagte Katherine. »Du kannst das nicht wissen, Kira, aber wir beide, du und ich, wir ähneln einander. Wir haben beide alles verloren. Ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen, um Freundschaft zu schließen, du etwa?«
Und nach weiterem Gestikulieren von Katherine biss Kira in die Orange, Schale inklusive. Saft tropfte auf ihre Brust, aber ihre großen, dunklen Augen blieben auf die weiße Frau gerichtet.
Kira benötigte nur etwa einen Tag, um zu erkennen, dass Katherine es nicht böse meinte. Sie benötigte allerdings ein paar Tage mehr, um zu begreifen, dass das kleine Bett im warmen, sicheren Küchenanbau ihr neues Zuhause war, und mehr als eine Woche, um ihre Pflichten im Haushalt und dem
Shamba
– dem kleinen Garten, in dem Katherine ihr Gemüse zog – zu erlernen. Sie hatte keine Schwierigkeiten, die
Shamba
-Arbeit zu verstehen – sie unterschied sich nicht von dem, was sie zusammen mit den Kikuyu-Frauen in größerem Umfang getan hatte –, aber die Tätigkeiten im Haus eines Weißen waren so eigentümliche Handlungsweisen, dass sie ihr viele Wochen lang unbegreiflich blieben. Sogar nachdem sie die Abläufe erfasst hatte, vermochte sie die Gründe nicht nachzuvollziehen.
Kira konnte nicht verstehen, warum Katherine mehr als einen Topf benötigte, um ihre Mahlzeiten zu kochen. Außerdem gab es viel metallenes Werkzeug, um das Essen zuzubereiten, und noch mehr Werkzeug, um es zu verspeisen. Dies musste immer auf ganz bestimmte Stellen des Tisches gelegt werden, umgeben von Stofftüchern und den Würzmitteln, die Weiße ihrem Essen hinzufügten.
Sie hielt es für eine unnütze Aufgabe, den Staub von den kleinen, zarten Gegenständen zu entfernen, die selten, wenn überhaupt jemals, benutzt wurden. Als Kira schon bald, nachdem ihr Katherine erklärt hatte, wie sie sie säubern sollte, ein kleines Figürchen fallen ließ, wurde ihre wahrhaftig empfindliche Beschaffenheit enthüllt. Der Gegenstand zerbrach in einen Haufen zackiger Scherben auf den nackten Dielen. Katherines zunächst schockierter, dann trauriger Gesichtsausdruck, versteckt hinter einem tapferen
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