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Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Fenimore Cooper
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gewartet hat. Neugierde oder vielleicht ein besseres Gefühl trieb ihn, sich dem Fremden zu nähern. Dieser hielt mit einem Arm den schützenden Pfosten umschlungen und atmete nach seiner verzweifelten Anstrengung tief und schwer, war jedoch zu stolz, das geringste Zeichen des Leidens von sich zu geben. Er war jetzt durch eine unvordenkliche und heilige Sitte geschützt, bis der Stamm in voller Versammlung sein Schicksal beraten und entschieden hatte. Wenn man übrigens aus der Stimmung derer, die den Platz umgaben, Schlüsse ziehen dürfte, so war das Ergebnis leicht vorauszusehen.
    Kein Schimpfwort gab es in der Huronensprache, das die getäuschten Weiber nicht gegen den glücklichen Fremden verschwenderisch ausgestoßen hätten. Sie höhnten seine Anstrengungen und sagten ihm mit bitterem Spott, dass seine Füße besser als seine Hände seien; dass er Flügel verdiente, da er weder Pfeil noch Messer zu kennen scheine. Der Gefangene gab auf all dies keine Antwort, sondern begnügte sich, eine Stellung zu bewahren, in der sich Würde wunderbar mit Verachtung mischte. Diese Ruhe sowohl als das gute Glück des Gefangenen erbitterten die Weiber gleichermaßen, ihre Worte erstickten und gingen in ein schrilles, durchdringendes Geheul über. Gerade jetzt drang die geschäftige Alte, welche die Vorsicht gebraucht hatte, das Gesträuch in Brand zu stecken, durch die Menge und machte sich vor dem Gefangenen freie Bahn. Die schmutzige und verwitterte Erscheinung dieser Unholdin mochte leicht auf ein Vorhandensein übermenschlicher Kräfte schließen lassen. Ihr leichtes Gewand zurückwerfend, streckte sie höhnisch ihren langen knöchernen Arm vor und rief, um dem Gegenstand ihrer Schmähungen verständlicher zu werden, in der Sprache der Lenapen:
    »Höre mich, Delaware«, schrie sie, indem sie ihm ins Antlitz schnippte, »deine Nation ist ein Geschlecht von Weibern; die Hacke schickt sich besser für Eure Hände als die Büchse. Eure Squaws gebären Hirsche; käme ein Bär, eine wilde Katze oder eine Schlange unter euch zur Welt, so würdet ihr Reißaus nehmen. Die Huronenmädchen sollen dir Weiberröcke machen, und wir wollen nach einem Manne für dich sehen.«
    Ein wildes Gelächter folgte diesem Angriff, und die sanften, melodischen Töne der jüngeren Frauen klangen seltsam mit der kreischenden Stimme der älteren und boshafteren Genossin zusammen. Allein der Fremde trotzte allen diesen Bemühungen. Sein Haupt blieb unbeweglich, nicht die leiseste Kenntnis schien er von den Anwesenden zu nehmen, außer wenn sein stolzes Auge von Zeit zu Zeit gegen die dunklen Gestalten der Krieger rollte, welche – schweigende, finstere Beobachter der Szene – in dem Hintergrunde auf und nieder schritten.
    Wütend über die Selbstbeherrschung des Gefangenen, stemmte die Alte ihre Arme in die Seite, warf sich in eine herausfordernde Stellung und brach von neuem in einen Strom von Schmähungen, welche keine Kunst vermögend wäre, mit Erfolg zu Papier zu bringen. Sie verströmte jedoch vergeblich ihren Atem: Obgleich sie unter ihrem Volke als eine Heldin in der Kunst zu schimpfen gelten konnte und sich in eine Wut gesteigert hatte, die ihr den Schaum aus dem Munde trieb, so konnte sie es doch nicht dahin bringen, dass der regungslos dastehende Fremde auch nur einen Muskel rührte. Der Ärger über diese Gleichgültigkeit begann sich auch den anderen Zuschauern mitzuteilen, und ein Jüngling, der eben erst aus dem Knabenalter in die Jahre der Mannheit hinüberschritt, kam der keifenden Alten zu Hilfe, indem er, einen Tomahawk vor dem Schlachtopfer schwingend, ihren Hohn mit seinen leeren Ruhmreden verstärkte. Jetzt wandte der Gefangene sein Antlitz nach dem Lichte und sah auf den Knaben mit einem Blick herab, der mehr als Verachtung ausdrückte; im nächsten Augenblick aber nahm er die ruhige, lehnende Haltung gegen den Pfosten wieder ein: Aber diese Veränderung der Stellung hatte Duncan vergönnt, einige Blicke mit den festen, durchdringenden Augen des Gefangenen – mit Uncas zu wechseln.
    Atemlos vor Erstaunen und schwer geängstigt über die gefährliche Lage des Freundes wich Heyward diesem Blicke aus, zitternd, das Verderben des Gefangenen – wusste er auch nicht wie – zu beschleunigen. Doch diese Furcht war für den Augenblick unnütz. Jetzt drängte sich ein Krieger durch die erhitzte Menge, Weiber und Kinder mit ernster Miene beiseite weisend, nahm Uncas beim Arm und führte ihn gegen die Türe des Versammlungshauses.

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