Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
der Unterwelt, durch welche Scharen unseliger Geister und wilder Dämonen durcheinander jagten.
Immer aber hielt Uncas, als ob das Leben für ihn nur noch eine Aufgabe hätte, sein Auge auf Magua gerichtet. Heyward und der Kundschafter blieben ihm auf der Ferse, von demselben Gefühle, wenn auch vielleicht nicht in demselben Grade beseelt. Ihr Weg aber wurde in den düsteren, finsteren Gängen sehr mühevoll: Seltener und minder deutlich zeigten sich ihnen die fliehenden Krieger und für einen Augenblick glaubten sie sogar die Spur derselben verloren, als an dem fernen Ende eines Ganges, der auf den Berg zu führen schien, ein weißes flatterndes Kleid sichtbar wurde.
»Es ist Cora!«, rief Heyward in einem Tone, in welchem sich Entsetzen und Freude seltsam mischten.
»Cora! Cora!«, wiederholte Uncas, indem er gleich dem Hirsche des Waldes vorwärts stürzte.
»Es ist das Mädchen!«, schrie der Kundschafter; »Mut, Lady, wir kommen! Wir kommen!«
Die Verfolgung erneuerte sich mit einem Eifer, den der ermutigende Anblick der Gefangenen verzehnfachte; der Weg aber wurde rau, unterbrochen, an einigen Stellen beinahe ungangbar. Uncas warf seine Büchse weg und sprang mit Sturmeseile vorwärts, Heyward folgte rasch seinem Beispiel. Beide wurden aber augenblicklich daran erinnert, dass ihr Beginnen Torheit war: Denn sie hörten den Knall einer Flinte, welche die Huronen in den Felsenweg herab losfeuerten, und die Kugel brachte sogar dem jungen Mohikaner eine leichte Wunde bei.
»Wir müssen ihnen auf den Leib!«, sprach der Kundschafter, indem er mit einem verzweifelten Sprung seine Freunde hinter sich zurückließ, »in dieser Entfernung schießen uns die Schufte alle weg; und seht, sie halten das Mädchen als einen Schild vor sich!«
Ohne auf diese Worte zu achten, oder vielmehr, ohne sie zu hören, folgten die Begleiter seinem Beispiel und kamen durch unglaubliche Anstrengungen den Fliehenden so nahe, dass sie sehen konnten, wie Cora von zwei Kriegern fortgetragen wurde, während Magua Richtung und Weise ihrer Flucht vorschrieb. In diesem Augenblicke zeichneten sich die vier Gestalten deutlich gegen eine lichte Öffnung, die ins Freie ging, und verschwanden dann gänzlich. Fast wahnsinnig über diese Täuschung machten Uncas und Heyward Anstrengungen, die übermenschlich zu nennen waren, und stürzten aus der Höhle an der Seite des Berges, noch zeitig genug, um die Richtung der Verfolgten zu erkennen. Der Weg ging jetzt die Anhöhe hinan und war noch immer mühsam und gefährlich.
Durch seine Büchse gehindert, oder vielleicht nicht von dem tiefen Interesse für die Gefangene getrieben wie seine Begleiter, ließ der Kundschafter Letztere ein wenig vorauseilen, und Uncas ließ seinerseits Heyward hinter sich. So kamen sie in unglaublich kurzer Zeit über Felsen und Abstürze weg und siegten über Gefahren, die zu anderer Zeit und unter anderen Umständen für unüberwindlich gehalten worden wären. Aber das Ungestüm der jungen Männer wurde belohnt: Sie fanden, dass die Huronen, durch Cora gehindert, in der Flucht zurückblieben.
»Halte, Hund von Wyandot!«, rief Uncas aus, seinen blinkenden Tomahawk gegen Magua schwingend, »ein Delawarenmädchen gebietet dir Halt!«
»Ich geh’ nicht weiter!«, rief Cora, indem sie unerwartet an einer Felsenspitze stehen blieb, die über einem tiefen Abgrund nahe dem Gipfel des Berges hing. »Töte mich, wenn du willst, abscheulicher Hurone; ich geh’ nicht weiter!«
Die Wilden, welche das Mädchen trugen, erhoben bereitwillig ihre Tomahawks mit jener ruchlosen, teuflischen Freude, die man bösen Geistern zuschreibt, wenn sie Unheil stiften können; aber Magua wehrte ihrem Arme. Der Huronenhäuptling rang seinen Begleitern die Waffen aus der Hand, warf sie über den Felsen hinab, zog sein Messer und wandte sich mit einem Blicke an die Gefangene, in dem sich die widerstrebendsten Leidenschaften malten.
»Weib«, sprach er, »wähle Le Subtils Wigwam oder sein Messer!«
Cora achtete nicht auf ihn; sie warf sich auf die Knie und erhob Augen und Arme zum Himmel und sprach mit sanfter aber vertrauensvoller Stimme:
»Dein bin ich! Tu mit mir nach deinem Ratschluss!«
»Weib!«, wiederholte Magua mit barscher Stimme, indem er vergeblich einen Blick aus ihrem heiteren, strahlenden Auge zu erhaschen suchte, »wähle!«
Aber Cora hörte oder beachtete nicht, was er sprach. Jede Fiber zitterte an dem Huronen; er hob seinen Arm, ließ ihn aber mit einem Ausdruck der
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