Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
angesehen wurden, so erregte dieses teilweise Verleugnen der Würde des Mannes keinen hörbaren Tadel. Hätte einer gehörig Muße gehabt, um aufmerksam zu beobachten, so würde er gefunden haben, dass die Dienste des jungen Häuptlings nicht ganz unparteiisch waren: Dass, während er Alice die Kürbisflasche mit süßem Wasser reichte, das Wildbret auf einem aus der Wurzel des Pfefferbaums niedlich geschnitzten Teller darbot und mit gebührender Höflichkeit ihrer Schwester die gleichen Dienste tat, sein dunkles Auge auf Coras ausdrucksvollen Gesichtszügen verweilte. Ein- oder zweimal sah er sich veranlasst, zu sprechen, um die Aufmerksamkeit derer, die er bediente, rege zu machen. In solchen Fällen gebrauchte er das Englische, zwar gebrochen und mangelhaft, aber verständlich genug und durch seine tiefe Kehlstimme so mild und wohlklingend, dass beide Damen jedes Mal mit Bewunderung und Erstaunen auf ihn blickten. Im Verlaufe dieser Höflichkeitsbezeugungen wurden einige Worte gewechselt, welche nicht verfehlten, ihrem Verkehr den Anschein freundlicher Zutraulichkeit zu geben.
Mittlerweile blieb Chingachgooks Ernst sich immer gleich. Er hatte sich mehr in den Bereich des Lichtes gesetzt, wo die häufigen, unruhigen Blicke seiner Gäste besser imstande waren, den natürlichen Ausdruck seines Gesichtes von dessen künstlichen Schreckenszügen zu trennen. Sie fanden eine große Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn, nur mit dem Unterschied, welchen Alter und Anstrengungen erwarten ließen. Das Wilde seiner Züge schien zu schlummern, und jener ausdruckslosern Ruhe zu weichen, die einem indianischen Krieger eigentümlich ist, wenn seine Geisteskräfte nicht für höhere Lebenszwecke in Anspruch genommen sind. An den gelegentlichen Blitzen, die über sein dunkles Gesicht hinfuhren, war jedoch leicht zu ersehen, dass es nur galt, seine Leidenschaften zu wecken, um dem schreckhaften Emblem, das er gewählt hatte, seine Feinde in Furcht zu setzen, seine volle Bedeutung zu geben. Auf der anderen Seite ruhte das lebhafte, unstete Auge des Kundschafters nur selten. Er aß und trank zwar mit einer Lust, die keine Furcht vor Gefahr zu stören vermochte, aber seine Wachsamkeit schien ihn nie zu verlassen. Sehr oft musste die Kürbisflasche oder das Wildbret, vor seinem Munde angelangt, warten, während er den Kopf beiseite wendete, als ob er auf entfernte, verdächtige Laute horchte – eine Bewegung, die nie verfehlte, seine Gäste von der Betrachtung ihrer neuen Lage ab- und zu der beunruhigenden Veranlassung derselben zurückzurufen. Da auf diese häufigen Pausen nie eine Bemerkung folgte, so ging die augenblickliche Unruhe vorüber und ward in einer Weile vergessen.
»Kommt, Freund«, sprach Falkenauge, indem er gegen das Ende des Mahls eine Tonne unter einer Decke von Laub hervorzog und sich an den Fremden, der ihm zur Seite saß und seiner Kochkunst volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, mit den Worten wandte: »versucht einmal dies Sprossenbier, es spült Euch alle Gedanken an das Füllen hinweg und facht das Leben in Eurem Busen wieder an. Ich trinke auf bessere Freundschaft und hoffe, dass das bisschen Pferdefleisch keinen Groll in Eurem Herzen zurücklassen wird. Wie nennt Ihr Euch?«
»Gamut (Tonleiter), David Gamut«, antwortete der Singmeister, indem er sich anschickte, in einem kräftigen Zug aus des Weidmanns starkduftender, wohlverspundeter Biertonne seinen Kummer hinabzuwaschen.
»Ein sehr guter Name, und ich darf wohl sagen, von rechtlichen Vorfahren ererbt. Ich bin ein Bewunderer von Namen, obgleich die christlichen Gebräuche alle hinter der Sitte der Wilden zurückstehen müssen. Die feigste Memme, die ich kennen lernte, hieß Lion (Löwe), und sein Weib, Patience, (Geduld) schalt Euch eher aus dem Feld, als ein gehetztes Wild eine Rute weit laufen konnte. Bei dem Indianer ist es Gewissenssache: Wie er sich nennt, so ist er auch gemeiniglich – nicht als ob Chingachgook, das eine große Schlange bedeutet, wirklich eine große oder kleine Schlange wäre, sondern dass er sich auf die Windungen und Krümmungen der menschlichen Natur versteht, schweigt und seine Feinde trifft, wenn sie sich dessen am wenigsten versehen. Was ist Euer Beruf?«
»Ich bin ein unwürdiger Lehrer in der Kunst, die Psalmen abzusingen.«
»Das wäre!«
»Ich erteile den Kindern der Connecticuter Landwehr Unterricht im Singen.«
»Da könntet Ihr eine bessere Beschäftigung finden. Die jungen Hunde stöbern bereits zu viel
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