Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
ihn zu seiner Idee ermutigt. Er hatte Arima in aller Schonungslosigkeit erzählt, dass er sich darauf gefreut hatte, Zeit mit Bertha und seinem Sohn Roland allein zu verbringen und Balduin deshalb nicht aufgehalten hatte. Weshalb auch? Milan war zu einer Friedensmission unterwegs!
Die Delegation überquerte den Ibaneta-Pass, wo sie wegen der Wagen nur langsam vorankam, und machte sich auf den Weg nach Medina Barshaluna, um so zu tun, als würde sie Bündnisgespräche mit Suleiman ibn al-Arabi führen. In Wahrheit sollte sie ihn nur auskundschaften und sich danach mit Suleimans Gegner Abd ar-Rahman von Qurtuba in Verbindung zu setzen. Milan wusste nicht, dass der Statthalter von Medina Barshaluna schon längst Bescheid wusste, dass er hintergangen werden sollte. Im Kloster unterhalb der Burg Roncevaux trugen die altersgrauen Mönche Milans Reisegruppe treu in ihre Chronik ein.
Als die maurischen Reiter irgendwo zwischen Iruña und Medina Barshaluna auf Milans Gruppe zuritten, hielt dieser sie für ein Empfangskomitee. Seinen schrecklichen Irrtum bemerkte er erst, als die maurischen Reiter plötzlich ihre Bogen zückten und seine Krieger von ihren Pfeilen aus den Sätteln geschossen wurden. Er wusste, dass er keine Chance gegen die Mauren hatte, aber er würde sich, seine Männer und vor allem seinen kleinen Sohn so lange und so tapfer wie möglich verteidigen. Er sprang vom Pferd und brüllte seinen Männern zu, ebenfalls abzusteigen.
Dann begann das Massaker.
Und im Kloster unterhalb von Roncevaux verzeichneten die Mönche zwei Wochen später einen einsamen Reiter namens Piligrim de Vienne, der zum südlichen Passausgang unterwegs war. Etliche Tage später würden sie seine Rückkehr verzeichnen, doch dann war er ein geschlagener Mann, der um seine Waffengefährten und seinen besten Freund trauerte und um dessen Sohn und der wusste, dass die schrecklichste Mission noch vor ihm lag: der jungen Witwe mitzuteilen, dass sie ihren Gatten und ihren ältesten Sohn verloren hatte. Die Wahrheit würde er ihr verschweigen, um ihren Gram nicht noch zu verstärken: dass er die Überreste des Jungen nicht auf dem Schlachtfeld gefunden hatte und dass die Mauren ihn verschleppt haben mussten, um ihn entweder irgendwo in einem Verlies grausam zu Tode zu quälen oder als Sklaven nach Afrika zu verkaufen.
Eine ungläubige Stille senkte sich nach Arimas Erzählung über Rolands Zelt.
Nach einer Weile ergänzte Afdza leise: »Ich kann mich an nichts von alldem erinnern. Die Mauren haben mich verschleppt, aber sie haben mich weder gequält noch als Sklaven verkauft. Sie haben mich gerettet. Ich nehme an, Suleiman selbst hat die Schar angeführt, die Milan und seine Krieger vernichteten. In meinen Träumen habe ich die Mauren immer herankommen sehen, während ich allein auf einem Schlachtfeld voller Toter stand. In Wahrheit müssen sie mich schwer verletzt zwischen den Toten gefunden haben, und anstatt mich von einem seiner Männer erschlagen zu lassen, nahm Suleiman mich mit, ließ mich zusammenflicken, schenkte mir, der ich alles vergessen hatte, eine neue Erinnerung an einen toten Vater, der einer von Suleimans Offizieren gewesen sei, und dann gab er mir Lehrer, die mich seine Sprache lehrten und ein Leben, das mich jetzt an diesen Ort geführt hat – zu dir, meinem Bruder.«
Roland versuchte etwas zu sagen und brachte nichts heraus. Arima, die es nicht mehr mitansehen konnte und deren Zorn auf Roland längst verraucht war, nahm seine Hand. Roland ließ es geschehen. »Ich konnte mich … ich konnte mich bis jetzt überhaupt nicht daran erinnern, dass ich einen Bruder hatte …«, stöhnte er schließlich.
Afdza nickte. »Ich habe meine Erinnerung vollkommen verloren, vermutlich durch meine Verletzung und die Wochen, in denen ich mit dem Tod rang. Aber du?«
»Ich weiß nicht … ich weiß nur, dass ich innerlich immer nach einem Bruder gesucht habe«, sagte Roland.
Es trieb Arima Tränen in die Augen. »Dort, wo der Verstand nicht hinkommt, habt ihr es beide gewusst«, murmelte sie. »Nicht einmal als Gegner in der Schlacht konntet ihr euch endgültig hassen.«
Roland schüttelte den Kopf, als könne er nie mehr damit aufhören. »Und du sagst … du sagst … Ganelon …?«
»Ganelon ist dein Vater«, sagte Arima.
»Nein … nein! Ich glaube das nicht! Ich kann es nicht glauben! Warum erzählt ihr mir so etwas? Das ist ein Trick des Mauren, oder?« Roland wandte sich plötzlich an Arima, und sie konnte förmlich
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