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Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)

Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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näherten sich mit der Unerbittlichkeit einer Sturmfront.
    Er drehte sich einmal um sich selbst. Er sah den Wind mit dem Gras und den Tuchfetzen spielen, doch er fühlte ihn nicht. Die Sonne stach in seine Augen, aber die Kälte erreichte seinen Körper nicht. Er war hier und doch nicht hier. Was hier war, waren die Toten, und er hatte das Gefühl, eigentlich zu ihnen zu gehören. Er ahnte, dass jeder der Toten sein Gesicht haben würde, wenn er nähertrat und einen von ihnen ansah. Manchmal fand er den Mut, tatsächlich näherzutreten, und sah seine Ahnung bestätigt.
    Dies waren die Fälle, in denen er schreiend im Bett hochfuhr. Die Botschaft war ihm klar, auch nach dem Aufwachen noch. Was er sein Leben nannte, war in Wahrheit nur geborgte Zeit. Er würde sie eines Tages zurückgeben müssen. Er wusste, dies würde dann sein, wenn es ihm am meisten Leid bereitete.
    Der heutige Traum hatte eine Neuerung für ihn. Üblicherweise erwachte er, wenn die Reiter ihn umzingelten, die Schwerter zogen und er Todesangst verspürte. Diesmal waren die Reiter noch nicht nennenswert näher gekommen, als er merkte, dass jemand hinter ihn getreten war. Bislang war er in seinen nächtlichen Visionen immer allein gewesen, allein mit sich und den Toten und den Reitern und seiner Angst. Die Überraschung war in den Traum eingedrungen und hatte ihm bewusst gemacht, dass es nur eine Fiktion gewesen war. Übergangslos wusste er, wer er war, wo er war, und dass er gerade noch geträumt hatte.
    Nachdenklich starrte er in die Dunkelheit. Auch das war neu – dieses geradezu friedliche Erwachen. Üblicherweise lag er schwitzend vor Entsetzen in seinem Bett. Er holte tief Atem und ließ die Luft wieder entweichen.
    Wieso hatte der Traum, der ein alter, wenn schon nicht willkommener Bekannter war, ihm diesmal etwas Neues gebracht? Wer war die Person, die hinter ihn getreten war?
    Plötzlich hielt es ihn nicht mehr auf seinem Lager. Er stand auf, warf einen Mantel über sein langes Hemd und trat hinaus. Er roch den Rauch langsam sterbender Feuer und den frischen, kühlen Duft eines ganz frühen Morgens am Fuß der Berge. Ein Wächter saß neben dem Feuer und nickte ihm zu. Ein zweiter würde irgendwo im Schatten zwischen den Zelten verborgen sein und aus dem Dunkel heraus eingreifen, sollte jemand versuchen, den ersten Wächter zu überwältigen und in das Zelt vorzudringen. Dieses Verhalten hatte er seinen Männern eingeschärft. Es bedurfte nicht erst des wiederkehrenden Albtraums, um Afdza Asdaq klarzumachen, dass das Leben etwas war, was einem jederzeit genommen werden konnte, und dass die Länge der Zeit, die einem auf Erden blieb, nicht zuletzt von den Vorsichtsmaßnahmen abhing, die man traf. Er nickte dem neben dem Feuer sitzenden Mann zu.
    Der Wächter nickte gelassen zurück. »Sidi.«
    Afdza warf einen Ast ins Feuer. »Wenn der hier verbrannt ist und ich immer noch nicht zurück bin, geh mich suchen«, sagte er.
    »Soll Euch jemand begleiten, Sidi?«
    Afdza schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Wie Ihr wünscht, Sidi.«
    Der Ort, an dem das Lager aufgeschlagen worden war, befand sich in einiger Höhe neben dem Pass. Afdza stieg ein paar Felsen hinauf, die aus dem dichten Baumbestand ragten. Sein Aussichtspunkt gewährte ihm freien Blick auf das Land, das sich nach Norden und Osten erstreckte und soeben begann, sich grau und formlos aus der beginnenden Morgendämmerung zu bilden. Der Himmel darüber war beinahe so klar wie der in Afdzas Traum, nur dass er nicht von erbarmungslosem Blau war, sondern von einem sanften, samtigen Indigo, das nach Osten zu in unmerklich ineinander verlaufenden Pastellfarben schimmerte wie das Innere einer Muschel. Da und dort blinkten noch letzte Sterne und versuchten die Nacht festzuhalten. Dies war das Reich der Franken – Afdza sah es zum ersten Mal, und es schien ihm passend, es auf diese Weise zu erblicken, langsam entstehend aus der Nacht, emporschwimmend aus der Finsternis in das unwirkliche Licht eines Tages, der noch nicht begonnen hatte. Er konnte keine Einzelheiten ausmachen, nur verschiedene Tönungen von Schatten. Das Land schien nirgendwo aufzuhören, es gab keine sichtbare Grenze zwischen Himmel und Erde; der Anblick war ebenso grandios wie Ehrfurcht einflößend – und löste in Afdza einen jähen Hunger aus, es genauer kennenzulernen. Hätte er nach Süden über Hispanien geblickt, hätte er das Gefühl mit plötzlichem Heimweh verglichen. So aber konnte er es nicht zuordnen. Es

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