Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
Tiere, die sie zu Gesicht bekamen, waren Eichhörnchen und hin und wieder ein Rudel Rehe. Arima, der in der Kindheit zur Erbauung von ihren kirchlichen Lehrern diverse Heiligenviten vorgelesen worden waren, fragte sich zusehends, wo diese Heiligen wohl unterwegs gewesen sein mochten, wenn sie sich gezwungen gesehen hatten, Nacht für Nacht Bäume zu fällen und damit Wälle um ihr Lager zu errichten, um ihre Reittiere vor all den wilden Bestien zu schützen.
Bei dieser friedlichen Stimmung, dem bis gegen Ende der Reise sonnigen Wetter und der zunehmenden Verbrüderung zwischen Franken und Mauren war nicht einmal der wachsame Ganelon genügend auf der Hut, um den Hinterhalt zu bemerken, in den sie unvermittelt hineingeraten waren.
PATRIS BRUNNA
Als immer mehr Männer beim Westtor der Karlsburg zusammenkamen und über die hölzerne Brustwehr nach draußen spähten, wurden Roland und Remi aufmerksam. Sie stiegen zum Wehrgang hinauf, der über den Durchlass des Tors verlief.
»Da draußen«, sagte einer der Männer und deutete hinaus. Roland sah es auch. In vielleicht zweihundert Schritt Entfernung stand ein Pferd auf der Straße, schüttelte die Mähne, trat von einem Huf auf den anderen und bewegte sich ansonsten nicht von der Stelle. Der Reiter in seinem Sattel spähte unentwegt zur Karlsburg herüber. Roland kniff die Augen zusammen.
»Das ist einer von uns«, sagte er. »Ich komme nicht auf den Namen.«
»Dado«, sagte Remi. »Dein Stiefvater hat ihn mitgenommen, um die maurische Delegation auf Burg Roncevaux zu empfangen und hierher zu begleiten.«
»Warum kommt er dann nicht näher?«
»Woher soll ich das wissen?«
Roland versuchte etwas Genaueres zu erkennen, aber die Entfernung war zu groß, und der Regen, der seit gestern fiel, verringerte die Sicht. Alles, was er zuverlässig erkennen konnte, war, dass der Reiter mit der Reglosigkeit eines Steins im Sattel saß. Den Fuß seiner Lanze hatte er in den Köcher neben dem Steigbügel gesteckt; die Waffe ragte in die Höhe, der Wimpel daran hing schlaff von der Nässe herab. Das Pferd war so nervös, wie der Reiter ruhig war.
Einer der Wächter legte die Hände an den Mund und brüllte hinaus: »He! Dado! Bist du das? Was ist los?«
Das Pferd wieherte und trat auf der Stelle. Der Reiter winkte mit der Lanze, dass der Wimpel ein paar träge Bewegungen machte, und enthielt sich ansonsten einer Antwort.
Roland blickte nachdenklich nach draußen. Immer mehr Männer versammelten sich jetzt auf dem Wehrgang, unter ihnen Puvis, der Roland und Remi bärbeißig zunickte.
»Heee! Dado!«, schrie ein anderer Wächter. »Was ist mit dir? Wo sind die anderen?«
Das Pferd schnaubte und tänzelte. Dado winkte erneut. Roland glaubte mittlerweile zu erkennen, dass Dados linker Arm schlaff herabhing und die Zügel des Pferds locker waren. Dado lenkte seinen Gaul nur mit dem Schenkeldruck. War er etwa verletzt?
»Ich hab plötzlich ein ganz mieses Gefühl«, sagte Roland.
»Und was jetzt?«, fragte Remi.
Der einsame Reiter enthob Roland einer Antwort. Er musste dem Pferd die Fersen in die Flanken gestoßen haben, denn es zuckte zusammen, wieherte und galoppierte dann aus dem Stand los. Dado neigte sich im Sattel nach vorn, die Spitze der Lanze neigte sich ebenfalls. Fassungslos erkannten die Männer auf dem Wehrgang, dass der Frankenkrieger eine Attacke auf das Tor ritt.
»Der Kerl ist übergeschnappt«, sagte Puvis.
»Er soll anhalten!«, rief Roland.
Die Torwächter brüllten zu Dado hinaus, der sich in donnerndem Galopp näherte. Dreckbrocken flogen in die Höhe, Wasser spritzte auf. Der Reiter neigte sich noch weiter nach vorn, er lag jetzt fast auf dem Hals seines Gauls.
»Halt an, du Narr!«, brüllte Remi.
Roland streckte die Hand zu Puvis aus. »Gib mir deinen Bogen! Schnell!«
Puvis warf Roland einen misstrauischen Blick zu, dann wand er sich aus dem Bogen, den er sich über die Schulter gehängt hatte. Er reichte Roland einen Pfeil. Roland spannte den Bogen. Remi fuhr herum. »Willst du ihn erschießen?«, rief er entsetzt. »Das ist Dado!«
»Ruf ihn noch einmal«, befahl Roland. »Wenn er nicht anhält, ist er’s nicht.«
Die Hufe des Pferdes wirbelten, während der Reiter immer näher kam. Die Lanze wippte, der nasse Wimpel flatterte, dann riss er ab. Dado hatte sich an den Hals des Pferdes geschmiegt. Roland zielte auf das Pferd. Er hatte den Bogen so weit gespannt, dass die Sehne schmerzhaft in seine Finger schnitt, und spürte, wie seine
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