Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
Palisade gehängt. Der Ort lag um die Ecke des Palas und war so gewählt, dass er sowohl die meiste Sonne abbekam als auch die Gewalt schlechten Wetters. Ganelons Hände und seine bloßen Füße waren blau und geschwollen, sein Gesicht fast nicht wiederzuerkennen. Er blickte aus verkrusteten Augen zu Roland und versuchte, etwas zu sagen. Seine trockenen Lippen sprangen auf, und Blut tröpfelte auf sein von Speichel und Rotz verschmiertes Kinn.
»Wenn sie uns dort raufhängen, haben wir verspielt«, murmelte Turpin. »Schaffen wir’s zu den Pferden?«
Roland riss sich zusammen. In den letzten Augenblicken hatte er gefühlt, wie sein Herzschlag seine Kehle eng werden ließ. Er schluckte. »Ich noch vor dir, Turpin«, sagte er.
»Aber nach mir«, sagte Remi, der immer noch halb gebückt ging.
Turpin lächelte.
Die Sachsenkrieger machten den Fehler, mit Turpin zu beginnen. Sie stießen ihn vorwärts. Einer zog aus dem Bündel, das er mitgebracht hatte, einen Lederriemen heraus. Die anderen beiden, die Turpin bewachten, traten einen Schritt zurück, damit ihr Kamerad die Riemen um Turpins Körper wickeln konnte.
Urplötzlich verwandelte sich Turpin in einen Wirbelwind in goldbesticktem Ornat. Der erste Sachse knickte nach einem wuchtigen Fußtritt zusammen und hatte noch nicht den Boden erreicht, als Turpin dessen Sax schon in der Faust hielt und den zweiten Mann niedermachte. Der Mann mit den Lederriemen öffnete seinen Mund, um Alarm zu geben. Blitzschnell warf Turpin das Messer: Die Klinge bohrte sich in den offenen Mund des Sachsen.
Rolands Ellbogen traf einen seiner beiden Bewacher in den Kehlkopf. Der Krieger ging gurgelnd zu Boden. Die Klinge des zweiten Mannes zischte über ihm durch die Luft, als Roland sich duckte. Er kam wieder hoch und nutzte den eigenen Schwung, um mit der Handfläche von unten gegen das Kinn des Sachsen zu schlagen. Dessen Kopf schnappte zurück, und der Krieger sackte leblos mit gebrochenem Genick in sich zusammen. Roland sprang zu Remi hinüber. Auch sein Freund hatte seine beiden Bewacher inzwischen überwältigt.
Der ganze Kampf hatte nur ein paar Herzschläge lang gedauert. Sieben Sachsen lagen auf dem Boden, einer wand sich, den Griff des Sax aus dem offenen Mund ragend, mit erstickten Lauten. Turpin riss die Klinge heraus und stieß sie dem Mann durch die Brust mitten ins Herz. Sie sahen sich um. Ihr Atem hatte sich kaum beschleunigt, und niemand war bis jetzt aufmerksam geworden. Das würde sich sofort ändern. Turpin wand sich aus dem Ornat. Darunter trug er sein Leibhemd, lange Hosen und Stiefel. Er ließ die prachtvolle Kleidung einfach fallen.
Roland warf noch einen Blick zu seinem Stiefvater, dann rannten sie los. Ihr Ziel waren ihre Pferde, die man zum Stall gebracht hatte. Als die drei Männer über den Innenhof sprinteten, fuhren die ersten Sachsenkrieger überrascht herum. Auf dem Wehrgang der Palisade wurden die Wachen aufmerksam und riefen Warnungen.
»Wie viele insgesamt?«, keuchte Turpin.
»Zwanzig bis fünfundzwanzig«, stieß Roland hervor.
Sie hatten die Pferde fast erreicht, als der Überraschungseffekt verpufft war und über ein Dutzend Sachsenkrieger mit gezogenen Schwertern auf sie zurannte. Zwei Männer, die bei den Gäulen Wache gehalten hatten, warfen sich ihnen entgegen, nur einen Augenblick später wanden sie sich auf dem Boden. Roland und Remi rissen die Decken herunter, die sie hinter die Sättel ihrer Pferde gebunden hatten, Turpin trennte die Bänder, die eine große lederne Tasche an seinem Sattel gehalten hatten, mit einem Streich seines erbeuteten Sax durch. Die Tasche fiel auf den Boden und öffnete sich. Die drei dort verstauten Spathae und drei Streitäxte fielen heraus. Turpin warf die Sachsenwaffe weg und nahm eine Spatha und eine Axt auf.
»Wie lang braucht ihr?«, rief er den beiden jungen Männern zu.
»Einen Kuss lang!«, keuchte Remi.
»Den bekommst du nachher von mir!«, sagte Turpin und stellte sich den heranstürmenden Sachsen in den Weg.
Remi und Roland wickelten mit rasender Hast die Bögen und Pfeile aus den Decken, die dort versteckt gewesen waren. Sie hatten damit gerechnet, dass die Sachsen sich zuerst um sie und danach erst um den Inhalt ihres Gepäcks kümmern würden. Immerhin diese Rechnung war aufgegangen. Roland riss an der Verschnürung des Hemds, das er unter der Mönchskutte trug. Der Riemen war in Wahrheit die Bogensehne. Remis Bogensehne diente als Band, mit dem er sein Haar im Nacken zusammengefasst
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