Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
Sachse – wenn Ganelon oder dem Mädchen …«
»Ich weiß«, seufzte der Sachse. »Das hat mir der Maure auch schon angedroht. Gelten bei euch Schwüre so wenig, dass ihr sie dauernd mit Drohungen bekräftigen müsst?«
Turpin zog eine Braue hoch. »Du hast ein freches Mundwerk, Sachse, aber du gefällst mir.«
Arima nahm aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Der ältere Mann mit der Tonsur und dem graudurchschossenen Bart, den die Sachsen als letzten Gefangenen hereingeführt hatten, stand mit einem Sax in der Hand beim Stall und hatte offensichtlich keine Ahnung, was er tun sollte. Sie wollte ihn ansprechen, aber Turpin kam ihr zuvor.
»He, du, Gelehrter! Tu dir nicht selbst weh mit dem Messer.« An die junge Frau gewandt fügte er hinzu: »Nimm ihn mit, Arima Garcez, hier nützt er keinem. Und frag ihn bloß nicht nach seinem Namen.«
Der Mann ließ den Sax fallen, als hätte er nur darauf gewartet. »Ealhwine«, sagte er würdevoll, »mein Name ist Ealhwine. Wenn man sich Mühe gibt, ist es gar nicht so schwer.«
Der Sachse half Arima auf eines der Pferde, dann schwang er sich auf den ungesattelten Gaul. Ealhwine kletterte mit erstaunlicher Behändigkeit in den Sattel. Ganelon war auf seinem Pferd vornübergesunken und hatte die Hände in seine Mähne verkrallt. Arima packte die Zügel des Tiers.
Plötzlich donnerten Scurfa und seine Krieger mit ohrenbetäubendem Lärm durch das offene Tor, die Lanzen eingelegt. Es waren über ein Dutzend Männer, die laut brüllten und heulten. Zwei von ihnen flogen von fränkischen Pfeilen getroffen aus den Sätteln, kaum dass sie das Tor durchquert hatten. Turpin rannte den restlichen Angreifern mit gezücktem Schwert entgegen. Ein maurischer Soldat kreischte, als ihn eine sächsische Lanze aufspießte und er mitgeschleift wurde.
»Los!«, schrie Arima und schlug dem Pferd die Fersen in die Weichen. Sie saß mit gespreizten Beinen im Sattel, ihr Kleid bis zu den Schenkeln hochgerutscht, aber im Augenblick gab es Wichtigeres. Sie bückte sich tief über den Hals ihres Reittiers, zog Ganelons Pferd zu dem ihren heran, und so flohen Ganelon, Ealhwine und ihre sächsische Geisel zum Tor hinaus.
Arima sah sich nach Afdza um, aber stattdessen erblickte sie Roland, der seine Pfeile auf die angreifenden Sachsen abfeuerte, ohne genau darauf zu achten, was er tat – denn in Wirklichkeit starrte er ihr hinterher. Ihre Blicke trafen sich kurz. Sie hätte schwören können, dass der junge Franke ihr mitten im Gefecht zulächelte.
REICHSVERSAMMLUNG
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FRÜHLING 777 N. CHR.
PATRIS BRUNNA
In den ersten drei Wochen nach ihrer Ankunft in Patris Brunna fühlte sich Arima einsamer als jemals auf Burg Roncevaux. Sie hatte erwartet, dass Karl sie überschwänglich begrüßen würde, erst recht nach der ausgestandenen Geiselnahme. Aber der König hielt sich gar nicht in der Karlsburg auf. Es hieß, er habe einen Trupp Krieger und die meisten seiner Paladine auf einen Vergeltungszug gegen die aufständischen Sachsen mitgenommen, kaum dass ihn die aus Geiske losgeschickte Botschaft erreicht hatte, dass die Geiseln befreit wären. Roland, seinem Freund Remi und Bischof Turpin hatte er ausrichten lassen, ihm so schnell wie möglich zu folgen. Arima fragte sich, ob es eine Demonstration von Stärke und Entschlossenheit war, um die Mauren zu beeindrucken; immerhin hatte er ihnen als seinen Gästen nicht die erforderliche Sicherheit bieten können. Scurfa hätte Karl mit seinem Coup nicht härter treffen können. Vermutlich hoffte Karl, mit Scurfas Kopf auf einer Lanze heimzukehren; dem Heritogo war, nachdem er Susatum und seine Geiseln nicht hatte zurückerobern können, die Flucht geglückt – als Einzigem. Den letzten Krieger, der mit ihm aus der Burg hinausgaloppiert war, hatten zwei Pfeile vom Rücken seines Gauls geholt. Afdza Asdaq und Roland hatten sie gleichzeitig abgeschossen. Hätte das Pferd des Kriegers nicht im letzten Moment einen Satz zur Seite gemacht, hätte eines der Geschosse Scurfa getroffen. Der König musste die Schmach doppelt empfinden, dass ausgerechnet der Anführer der Rebellen am Ende noch entkommen war.
Arima hielt es dennoch nicht für besonders diplomatisch, die maurische Gesandtschaft so lange warten zu lassen. Sie ahnte vage, dass mehr hinter Karls Handeln stecken musste als Rachedurst. Wollte er den Mauren, seinen Gästen, so lange wie möglich aus dem Weg gehen? Und wenn, weshalb? Wusste er etwas, das die Allianzverhandlungen schon im
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