Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
einem Ausritt überreden zu wollen, muss ich ablehnen. Es würde mir hier auch keinen Spaß machen.«
»Was ich vorzuschlagen habe«, fuhr Afdza fort, »bedarf keiner Anstrengung, man muss dazu nicht über Stock und Stein reiten, und wir können es hier vor aller Augen tun, so dass niemand auf dumme Gedanken kommt.«
»Auf welche Gedanken zum Beispiel?«
Afdza musterte sie mit schief gelegtem Kopf. Sein Lächeln bekam eine andere Qualität, und das Funkeln in seinem Auge wurde leuchtender, verlangender. Wieder einmal fielen Arima seine Augenbinde und die Narbe erst mit großer Verspätung auf. Sie spürte, wie die Farbe ihr in den Halsausschnitt des Kleides kroch, räusperte sich und wurde erst recht rot.
»Tun wir so, als hätte ich diese Frage nicht gestellt«, schlug sie vor.
»Du kannst schreiben und lesen, nicht wahr?«, fragte er.
Arima nickte. Afdza holte einen schmalen, kleinen Lederbeutel aus seinem Gewand, der an einer Lederschnur um seinen Hals hing. An dem Beutel hing wiederum ein kleiner, blauer Talisman, der die Form einer Hand hatte. Afdza holte eine kleine Rolle aus dem Beutel und öffnete sie vorsichtig. Sie war aus hauchdünnem, geschmeidigem Pergament.
Arima hielt den Atem an. »Das ist wunderschön«, sagte sie.
»Das ist ein Spruch aus unserem heiligen Buch, dem Koran«, sagte Afdza. »Ich trage ihn immer bei mir. Er bedeutet: ›Führe uns auf den rechten Weg.‹ Was dir so gefällt, sind unsere Schriftzeichen. Es heißt, dass Gott selbst diese Schriftzeichen dem Propheten zum Geschenk gemacht hat. Möchtest du sie lernen?«
»Oh ja, bitte!«, sagte Arima ohne nachzudenken.
Afdza lachte. »Und wenn doch jemand auf dumme Gedanken kommt, wenn wir nebeneinander sitzen und tuscheln, dann können wir erklären, dass du die Schrift der Mauren lernst, um deinem König eine gute Mittlerin zwischen ihm und seinen neuen Verbündeten zu sein.«
»Du kannst auch schreiben?«
Afdza zuckte mit den Schultern. »Sinke ich jetzt in deiner Achtung, Herrin?«
Er bot ihr die kleine Schriftrolle an, und sie nahm sie und hielt sie unendlich vorsichtig in ihrer Handfläche. Mit spitzem Finger fuhr sie die eleganten Schwünge der maurischen Buchstaben nach und fühlte plötzliche Verlegenheit angesichts des Schmutzes unter ihrem Fingernagel. Das Pergament war fast rein weiß, die Schriftzeichen mit einer Tinte gemalt, die im Sonnenlicht schillerte. Die Schriftrolle wirkte kostbarer als Gold und Juwelen.
»Lehre es mich jetzt gleich«, sagte sie mit heiserer Stimme.
Afdza zögerte keinen Augenblick. »Ich hole Pergament und Schreibgerät.«
Wenig später saßen sie nebeneinander an die Wand des Kirchenbaus gelehnt. Arima hatte ein Brett über den Knien und die Stirn in einer Miene vollkommener Konzentration gerunzelt, während Afdza ihr erklärte, dass die Mauren von rechts nach links schrieben, und dem Schilfrohr, mit dem sie schreiben sollte, mit Hilfe eines scharfen Messers die richtige Kante gab. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, als sie die ersten Schwünge nach einem von Afdza vorgemalten Beispiel auf ein leeres Stück Pergament zog, und zugleich kam die Ruhe über sie, die sie stets fühlte, wenn sie etwas schrieb. Zu sehen, wie aus nichts weiter als schwarzer Flüssigkeit, einem entsprechend zugeschnittenen Schilfrohrgriffel und der Bewegung ihrer Finger Zeichen und Worte entstanden, Ideen festgehalten wurden und Gedanken eine Form erhielten, erfüllte sie mit tiefer Ehrfurcht. Als Afdza lächelte und sagte, dass er noch nie jemanden mit solcher Inbrunst den Buchstaben Arif habe schreiben sehen, verspürte sie wegen seines Spottes beinahe Ärger in sich aufsteigen, der auch nicht durch die Erkenntnis wettzumachen war, dass er ihr den ersten Buchstaben ihres eigenen Namens beigebracht hatte. Sie sah auf, aus ihrer inneren Einkehr gerissen, und stellte fest, dass sie beobachtet wurden. Verwirrt blinzelte sie.
»Ich wollte nicht stören«, sagte der junge, hoch aufgeschossene Frankenkrieger. »Lernst du schreiben?«
»Roland!«, rief Arima überrascht. »Du bist doch mit Karl weggeritten. Ist er etwa wieder hier in Patris Brunna?«
»Ein paar von uns sind schon vorausgeritten. Wir haben die Duces und Comites getroffen, die auf der Reise hierher sind, und die Suche nach Scurfa abgebrochen. In ein paar Tagen ist große Heerschau; danach beginnt die Reichsversammlung.«
Nun begrüßte Roland Afdza mit einer unbeholfenen Verbeugung. Der Maure erhob sich geschmeidig und verbeugte sich ebenfalls,
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