Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
Gesicht geschlichen hatte. Ealhwine schien das Gefühl zu haben, dass er sich verteidigen müsse.
»Deshalb möchte ich ja die maurischen Buchstaben sehen … Vielleicht geben sie mir eine Inspiration.«
Arima streckte ohne nachzudenken die Hand nach dem Schilfrohrgriffel aus, der zusammen mit Ealhwines restlichen Schreibutensilien in der Rolle verstaut gewesen war: ein Säckchen mit Ruß, ein weiteres Säckchen mit pulverisiertem Gummi arabicum und eine kleine verkorkte Tonamphore, in der entweder Wein oder Essig waren, um den Ruß und das Gummi arabicum aufzulösen und in Tinte zu verwandeln. Die Buchstaben, die Afdza sie gelehrt hatte, tauchten vor ihrem inneren Auge auf, ebenso wie die Erinnerung daran, wie sie die Auf- und Abstriche zu setzen hatte, damit die Schrift ebenmäßig wurde. Gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie Afdza nie wieder fragend ansehen konnte, wenn sie einen Buchstaben fertig hatte, und nie wieder hören würde, wie er sie lobte oder ihr eine Nachbesserung empfahl. Sie begann zu weinen, und Ealhwine zog sie einfach zu sich heran, nahm sie in den Arm und ließ sie schluchzen.
»Na, na«, murmelte er nach einiger Zeit und klopfte ihr sanft auf den Rücken, »na, na, Dúnaelf. Ich weiß, ich weiß … manchmal geht die Welt unter.«
Erst viel später fragte Arima sich, ob die ganze Geschichte mit der Inspiration durch die maurischen Buchstaben nicht eine Ausrede des alten Gelehrten gewesen war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihren Kummer entweder in ein Stück Gras oder in die Decken auf ihrem Lager geweint; nun war zum ersten Mal eine Schulter für sie da und der Trost eines mitfühlenden Herzens. Hatte Ealhwine erkannt, wie nötig sie jemanden gehabt hatte, in dessen Arm sie sich einfach ausweinen konnte? Sie fragte ihn nicht, und er sprach nie darüber. Tatsache war jedoch, dass es ihr nach dieser Begegnung im Garten zum ersten Mal seit Langem ein wenig besser ging.
Der andere Mensch, der wesentlich dazu beitrug, Arimas Lebensmut in diesen schweren Wochen am Leben zu halten, war jemand, von dem sie es am wenigsten erwartet hatte: Roland.
Gleich nach dem Abzug der Mauren hatte König Karl verstärkte Patrouillenritte angeordnet. Arima hörte aus Unterhaltungen der Männer heraus – ohne dass es sie wirklich berührt hätte –, dass Späher die maurische Delegation eine lange Weile heimlich begleiteten. Falls die Mauren versucht hätten, mit den aufständischen Sachsen Kontakt aufzunehmen, hätte Karl dies rechtzeitig erfahren. Doch die Mauren schienen nur ein Ziel zu haben: schnellstmöglich wieder nach Hause zu gelangen, um ihrem Herrn Suleiman ibn al-Arabi mitzuteilen, dass ihre Mission gescheitert war und dass vermutlich ein Krieg auf ihn zukam. Die verbliebenen Paladine führten diese Patrouillen an. Gleichzeitig ritten andere Trupps die Umgebung ab, um sicherzustellen, dass keiner von den entmachteten sächsischen Anführern irgendwo einen weiteren Aufstand vorbereitete. Schließlich ließ sich Karl von den Meldungen seiner Krieger beruhigen und setzte die Reichsversammlung wie gewohnt fort – mit Gerichtsurteilen, Handelsvereinbarungen, Schlichtungen, Festlegungen von Territorialgrenzen und der feierlichen Unterzeichnung von Verträgen. Piligrim übergab die Herrschaft über seine Grafschaft um die Stadt Vienne, die mit der Paladinswürde verbunden war, feierlich an Remi und erhielt von Karl ein anderes Lehen in einem der fränkischen Grenzgebiete im Süden, am Fuß des Pirenéus-Gebirges. Arima horchte bei der Nennung auf, weil es nur eine kurze Strecke von Roncevaux entfernt war, vergaß die Angelegenheit dann aber wieder. Einige kleinere Schwärme von Sachsen sprachen vor und ließen sich taufen – offensichtlich wurden sie von ihren Edelingen, die wegen Scurfas Überfall Vergeltungsmaßnahmen der Franken fürchteten, zu dieser Unterwerfungsgeste gezwungen. Styrmi tauchte die finster blickenden Täuflinge mit nicht enden wollender Begeisterung in die Wasser der Paderquellen, woraus sie triefend und als frischgebackene Christen, aber mit kaum freundlicherer Miene hervorkamen. Junge Burschen, die zum ersten Mal Waffen tragen durften, wurden gemustert. Die kräftigsten Krieger maßen sich untereinander in der Kunst der gezielten Beleidigung und im Wettkampf. Die alten Hasen schließlich saßen abseits in der Sonne im Gras, kommentierten wortreich ihre Narben, sicherten sich für die Nächte die Dienste einer willigen Magd, mit der sich die Wettkämpfer nicht vergnügen
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