Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
Selbstmord, aber Sie versuchen, einen Mord draus zu machen. Schönen Tag noch, Detective.«
Wenn man die School Street entlangfährt, gibt es auf der Südseite der Straße, gleich beim YMCA , eine auf alt gemachte Eisdiele, und heute sieht es so aus, als würden die Geschäfte ziemlich gut laufen, Schnee und Milchpreise hin oder her. Ein nett aussehendes junges Paar, vielleicht Anfang dreißig, ist gerade mit bunten Eistüten rausgekommen. Die Frau winkt mir zu – ein kleines, zaghaftes Winken, wie es für freundliche Polizisten reserviert ist –, und ich winke zurück, aber der Mann sieht mich mit toten Augen und ernster Miene an.
Im Allgemeinen wursteln die Leute einfach weiter vor sich hin. Gehen zur Arbeit, sitzen an ihrem Schreibtisch, hoffen, dass die Firma am kommenden Montag noch existiert. Gehen in den Supermarkt, schieben den Einkaufswagen, hoffen, dass die Lebensmittelregale heute nicht ganz leer sind. Treffen ihre Liebste mittags auf ein Eis. Sicher, manche haben beschlossen, sich umzubringen, andere wid men sich ihrer Löffelliste, und einige stürzen sich auf Drogen oder »laufen mit raushängendem Schwanz rum«, wie McGully gern sagt.
Aber viele von der Löffellistenfraktion sind enttäuscht zurückgekommen, und viele frischgebackene Kriminelle und wilde Vergnügungssüchtige habe sich im Gefängnis wiedergefunden, wo sie einsam und voller Angst auf den Oktober warten.
Also ja, es gibt Unterschiede im Verhalten, aber nur an den Rändern der Gesellschaft. Der Hauptunterschied – aus der Sicht des Gesetzeshüters – ist eher atmosphärisch und schwerer zu definieren. Ich würde die Stimmung hier in der Stadt mit der eines Jungen vergleichen, der noch keinen Ärger hat, aber weiß, dass er bald welchen kriegen wird. Er sitzt oben in seinem Zimmer und wartet, »warte nur, bis dein Vater nach Hause kommt«. Er ist mürrisch und gereizt, nervös, verwirrt und traurig, er zittert, weil er weiß, was demnächst geschehen wird, und er ist kurz davor, gewalttätig zu werden, nicht aus Wut, sondern aus einer Angst heraus, die leicht in Zorn umschlagen kann.
Das ist Concord. Über die Stimmung im Rest der Welt kann ich nichts sagen, aber so sieht’s hier bei uns aus.
Ich sitze wieder an meinem Schreibtisch in der School Street, bei der Erwachsenenkriminalität, schneide vorsichtig das Klebeband um den Deckel der Schuhschachtel durch und höre noch einmal die Stimme von Naomi Eddes – sie steht mit verschränkten Armen da und starrt mich an: Wonach suchen Sie überhaupt?
»Danach«, sage ich, als ich den Deckel abgenommen habe und in die Schachtel schaue. »Danach suche ich.«
Peter Zells Schuhschachtel enthält Hunderte von Zei tungsartikeln, Zeitschriftenseiten und Internet-Ausdrucke n, und in allen geht es um Maia und den bevorstehenden Einschlag des Asteroiden auf der Erde. Ich nehme den ersten Artikel vom Stapel. Er stammt vom 2. April letzten Jahres, ein Füllartikel von Associated Press über das Palomar-Observatorium am Caltech und das ungewöhnliche, aber fast mit Sicherheit harmlose Objekt, das die dortigen Wissenschaftler entdeckt hatten und das in die Liste der potenziell gefährlichen Asteroiden des Minor Planet Center aufgenommen worden war. Der Autor beschließt den Artikel mit der trockenen Bemerkung, »wie groß er auch sein und woraus er auch immer bestehen mag, die Wahrscheinlichkeit, dass dieser geheimnisvolle neue Himmelskörper auf die Erde trifft, wird auf 0,000047 Prozent geschätzt, das heißt, das Einschlagsrisiko liegt bei eins zu 2.128.000«. Ich sehe, dass Zell beide Zahlen sorgfältig umkringelt hat.
Der nächste Artikel in der Schuhschachtel ist eine zwei Tage später erschienene Thomson-Reuters-Meldung mit der Überschrift: »Neu entdecktes Weltraum-Objekt das größte seit Jahrzehnten«, aber der Artikel selbst ist ziemlich banal, nur ein einziger Absatz, keine Zitate. Darin heißt es, das in jenen frühen Tagen noch unter seiner astronomischen Bezeichnung 2011 GV 1 geführte Objekt gehöre »vermutlich zu den größten, die in den letzten Jahrzehnten von Astronomen aufgespürt wurden; sein Durchmesser beträgt möglicherweise bis zu drei Kilometer«. Zell hat auch diese Schätzung dünn mit Bleistift umkringelt.
Ich lese weiter, fasziniert von dieser düsteren Zeitkapsel, und erlebe die jüngste Vergangenheit noch einmal aus Peter Zells Perspektive. In jedem Artikel hat er Zahlen umkringelt oder unterstrichen: die immer weiter nach oben korrigierten Schätzungen von
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