Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
auf, werfe das Telefon auf den Fußboden und versuche, wieder einzuschlafen.
Ich hatte von meiner Freundin auf der Highschool geträumt, Alison Koechner.
In dem Traum schlendern Alison und ich Arm in Arm durch die bezaubernde Innenstadt von Portland, Maine, und werfen einen Blick ins Schaufenster eines Antiquariats. Und Alison lehnt sich sanft gegen meinen Arm, ihr wilder Strauß orchideenroter Locken kitzelt mich am Hals. Wir essen Eis, lachen über einen Witz, den nur wir verstehen, und überlegen, welchen Film wir uns ansehen wollen.
Es ist einer dieser Träume, in die man nur schwer zurückgelangt, selbst wenn man wieder einschlafen kann, und ich kann es nicht.
Um zwanzig vor acht ist es hell, die Luft ist klar und kalt, und ich kurve durch Pill Hill, das vornehme Viertel in West Concord ums Krankenhaus herum, wo dessen Ärzte und höhere Verwaltungsangestellte in geschmackvollen Kolonialstilbauten wohnen. Heutzutage werden viele dieser Häuser von privaten Wachleuten geschützt, unter deren Wintermänteln sich Schusswaffen abzeichnen, als wäre dies mit einem Mal eine Großstadt der Dritten Welt. Bei 14 Thayer Pond Road ist jedoch kein Wachmann, nur eine weite, schneebedeckte Rasenfläche, das frisch gefallene Weiß des Schnees so makellos und leuchtend, dass ich mich beinahe unwohl fühle, als ich mit meinen Timberlands hindurchstapfe, um zur Haustür zu gelangen.
Aber Sophia Littlejohn ist nicht zu Hause. Sie musste weg, um bei einer Frühgeburt im Concord Hospital zu helfen, eine Wendung der Dinge, für die sich ihr Gatte vielmals entschuldigt. Er empfängt mich in Kakihose und Rollkragenpullover auf der Veranda, ein freundlicher Mann mit gepflegtem goldenem Bart, der einen Becher mit duftendem Tee in der Hand hält und mir erklärt, Sophia habe häufig unregelmäßige Arbeitszeiten, besonders jetzt, wo die meisten anderen Hebammen in ihrer Praxis aufgehört hätten.
»Sie aber nicht. Sie ist entschlossen, sich anständig um i hre Patientinnen zu kümmern, bis zum Ende. Und ob Sie ’s glauben oder nicht, es gibt jede Menge neuer Patientinnen. Übrigens, ich heiße Erik. Möchten Sie trotzdem reinkommen?«
Er wirkt ein wenig überrascht, als ich bejahe, sagt: »Oh, okay … schön«, tritt ins Wohnzimmer zurück und winkt mich herein. Ich bin seit zwei Stunden auf den Beinen und begierig darauf, mehr über Peter Zell zu erfahren, und sein Schwager muss etwas wissen. Littlejohn führt mich ins Innere des Hauses, nimmt meinen Mantel und hängt ihn an einen Haken.
»Kann ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?«
»Nein, vielen Dank. Ich werde nur ein paar Minuten Ihrer Zeit beanspruchen.«
»Gut. Viel mehr könnte ich auch nicht erübrigen«, sagt er mit einem freundlichen kleinen Zwinkern und macht mir klar, dass seine Bescheidenheit nur gespielt ist. »Ich muss unseren Sohn zur Schule bringen und selbst um neun im Krankenhaus sein.«
Er bedeutet mir, in einem Sessel Platz zu nehmen, und setzt sich selbst, schlägt die Beine übereinander und entspannt sich. Breites, liebenswürdiges Gesicht, großer, freundlicher Mund – der Mann hat etwas Kraftvolles, aber nichts Bedrohliches an sich, als wäre er ein netter Comic-Löwe, der warmherzige Wächter über sein Rudel.
»Das müssen schwierige Zeiten für einen Polizisten sein.«
»Ja, Sir. Sie arbeiten im Krankenhaus?«
»Ja. Seit ungefähr neun Jahren. Ich leite den seelsorgerischen Dienst.«
»Oh. Und was genau ist das?«
»Ah.« Littlejohn beugt sich vor und verschränkt die Finger, offensichtlich erfreut über die Frage. »Wer ein Krankenhaus betritt, hat Bedürfnisse, die über das rein Körperliche hinausgehen. In erster Linie betrifft das natürlich die Patienten, aber es gilt auch für Angehörige, Freunde und, ja, sogar für die Ärzte und das Pflegepersonal.« Er trägt diesen Sermon eloquent und selbstsicher vor, schnell und mit fester Stimme. »Meine Aufgabe besteht darin, mich um diese Bedürfnisse zu kümmern, auf welche Weise auch immer sie sich zeigen. Wie Sie sich vorstellen können, bin ich heutzutage ziemlich beschäftigt.«
Sein warmes Lächeln ist unerschütterlich, aber ich höre die Echos in dem einen Wort, beschäftigt , sehe sie in den großen, ausdrucksvollen Augen: die Erschöpfung, die langen Nächte und ermüdenden Stunden, in denen er den Ratlosen, Ängstlichen und Kranken Trost zu spenden versucht.
Aus dem Augenwinkel erhasche ich kurz aufblitzende Bilder meines unterbrochenen Traums, die hübsche Alison Koechner, als
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