Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
wirklich zu einer Frühgeburt gerufen worden ist, dann hat sie das Haus per Katapult oder Teleportationsmaschine verlassen.
Beim Eintreten sieht man, dass die Wände des Somerset von Fotos von Präsidentschaftskandidaten gesäumt sind, die Bob Galicki, dem früheren, mittlerweile verstorbenen Besitzer, die Hand schütteln. Ein Foto zeigt den bleichen Dick Nixon, ein anderes den steifen, wenig überzeugenden John Kerry, die Hand nach vorn gestreckt wie ein abgebrochener Zaunpfahl. Da ist John McCain mit seinem Totenkopfgrinsen. John F. Kennedy, unglaublich jung, unglaublich gut aussehend, todgeweiht.
Aus der Stereoanlage in der Küche ertönt Bob Dylan, etwas von Street Legal . Also steht Maurice am Herd – ein gutes Omen für die Qualität meines Mittagessens.
»Setz dich irgendwohin, Honey«, sagt Ruth-Ann, während sie mit einer Kaffeekanne vorbeieilt. Die Hand, mit der sie den dicken schwarzen Griff der Kanne fest umfasst, ist runzlig, aber kräftig. Als ich zu meiner Zeit auf der Highschool hierhergekommen bin, haben wir Witze über Ruth-Anns Alter gemacht – ob man sie für diesen Job eingestellt oder den Laden um sie herum gebaut hatte. Das ist zehn Jahre her.
Ich trinke meinen Kaffee, ohne die Speisekarte zu beachten, mustere verstohlen die Gesichter der anderen Gäste und wäge die jeweilige Melancholie in ihren Augen ab, die verstörten Mienen. Ein altes Paar unterhält sich leise, über seine Suppenteller gebeugt. Ein etwa neunzehnjähriges Mädchen mit entnervtem Blick schaukelt ein blasses Baby auf den Knien. Ein dicker Geschäftsmann starrt zornig auf die Speisekarte, eine Zigarre in den Mundwinkel geklemmt.
Tatsächlich rauchen so gut wie alle; unter jeder Lampe schlängeln sich stumpfgraue Ranken empor. So war es hier auch damals, bevor das Rauchen an Orten mit Publikumsverkehr verboten wurde, ein Gesetz, das ich als einziger Nichtraucher in meiner Außenseitergruppe an der Highs chool energisch unterstützt habe. Es gilt zwar noch immer , wird aber weitgehend ignoriert, und das CPD zieht es momentan vor, in die andere Richtung zu schauen.
Ich fummle an meinem Besteck herum, nippe an meinem Kaffee und denke nach.
Ja, Mr. Dotseth, es stimmt, viele Menschen sind deprimiert, und viele von ihnen haben beschlossen, sich das Leben zu nehmen. Doch als zuständiger Detective kann ich diesen Kontext nicht als Indiz dafür akzeptieren, dass Peter Zell ein 10-54S war. Wenn die bevorstehende Vernichtung des Planeten die Menschen zwangsläufig in den Selbstmord triebe, wäre dieses Restaurant leer. Concord wäre eine Geisterstadt. Es wäre keiner mehr übrig, den Maia umbringen könnte, denn wir wären alle schon tot.
»Omelett mit drei Eiern?«
»Vollkorntoast«, sage ich und füge dann hinzu: »Ich hab eine Frage, Ruth-Ann.«
»Und ich eine Antwort.« Sie hat meine Bestellung nicht aufgeschrieben, aber ich bestelle seit meinem elften Lebensjahr immer dasselbe. »Du zuerst.«
»Was hältst du von dieser ganzen Stadt-der-Hänger-Sache? Von den Selbstmorden, meine ich. Würdest du jemals …«
Ruth-Ann knurrt angewidert.
»Machst du Witze? Ich bin Katholikin, Honey. Nein. Auf gar keinen Fall.«
Sehen Sie, und ich glaube, ich täte es auch nicht. Mein Omelett kommt, und ich esse es langsam, starre ins Leere und wünschte, es wäre hier drin nicht so verqualmt.
5
Die Erweiterung des Concord Hospital war vor achtzehn Monaten mit großem Trara angekündigt worden: Im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft sollte ein neuer Flügel für die Langzeitpflege angebaut werden, und man wollte umfangreiche Verbesserungen in der Pädiatrie, der Gynäkologie und Geburtshilfe sowie auf der Intensivstation vornehmen. Nach der Grundsteinlegung im letzten Februar hatten sie im Frühling stetige Fortschritte gemacht, aber dann war ihnen das Geld ausgegangen; die Bauarbeiten gingen langsamer voran und hörten Ende Juli schließlich ganz auf, sodass ein Labyrinth halb fertiggestellter Gänge, hoch aufragende Gerüstskelette und viele zum Dauerzustand erhobene, lästige provisorische Arrangements zurückblieben; alle gingen im Kreis und schickten sich gegenseitig in die falsche Richtung.
»Die Leichenhalle?« Die weißhaarige freiwillige Helferin mit der fröhlichen roten Baskenmütze zieht einen Plan zurate. »Mal sehen … Leichenhalle, Leichenhalle, Leichenhalle. Oh. Hier.« Zwei Ärzte eilen mit Klemmbrettern in den Händen vorbei, während die Helferin auf ihren Plan deutet, der, wie ich sehe, mit
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