Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
unteren rechten Ecke des Bildschirms begleitet eine Countdown-Anzeige die abgedroschenen Kamerafahrten von der B-Rolle: Tolkin, der in den Gängen des Instituts herumläuft, Zahlenkolonnen auf ein Whiteboard kritzelt, mit seinen Untergebenen um Computerbildschirme hockt.
Und da ist der kleine, dickbäuchige, einsame Peter Zell in seinem Haus und schaut schweigend zu, umgeben von seinen Artikeln, die Brille auf der Nase, die Hände flach auf den Knien.
Die Sendung wird live übertragen, der Reporter ist Scott Pelley, gewichtig, mit kantigem Kinn, grauen Haaren und ernstem, wie fürs Fernsehen gemachtem Gesicht. Pelley sieht im Namen der Welt zu, wie Tolkin mit einem Stapel Aktenmappen unter dem Arm aus der entscheidenden Konferenz kommt, seine Hornbrille abnimmt und in Tränen ausbricht.
Während ich jetzt langsam Richtung Somerset Diner fahre, versuche ich, die Erinnerung an die Gefühle eines anderen einzufangen und mir darüber klar zu werden, wie Peter Zell jenen Moment erlebt hat. Pelley beugt sich vor, das Mitgefühl in Person, und stellt die magisch dumme Frage, die alle Welt hören muss:
»Also dann, Doktor. Wie sehen unsere Optionen aus?«
Dr. Leo Tolkin zittert, er lacht beinahe. »Optionen? Es gibt keine Optionen.«
Und dann redet er einfach weiter, er brabbelt geradezu, sagt, wie leid es ihm im Namen der weltweiten Astronomengemeinde tue und dass sich dieses Ereignis niemals hätte vorhersagen lassen, dass sie jedes realistische Szenario untersucht hätten – kleines Objekt, kurze Vorwarnzeit; großes Objekt, lange Vorwarnzeit –, aber so etwas, das hätte sich niemand vorstellen können, ein Objekt mit solch sonnennahem Perihel und einer derart exzentrischen elliptischen Bahn, ein solch unglaublich großes Objekt – die Wahrscheinlichkeit der Existenz eines solchen Objekts sei so verschwindend gering, dass sie statistisch gleichbedeutend mit unmöglich sei. Und Scott Pelley starrt ihn an, und überall auf der Welt verfallen die Menschen in tiefe Trauer und Hysterie.
Denn auf einmal gab es keine Unklarheit mehr, keinen Zweifel. Auf einmal war es nur noch eine Frage der Zeit. Einschlagswahrscheinlichkeit hundert Prozent. 3. Oktob er. Keine Optionen.
Viele Menschen blieben nach Ende der Sendung an ihren Fernsehgeräten kleben, sahen zu, wie Experten und Astronomieprofessoren und Politiker auf den diversen Kabelsendern stammelten und weinten und einander widersprachen; warteten auf die angekündigte Rede des Präsidenten an die Nation, die letztendlich erst am Mittag des folgenden Tages kam. Viele liefen zum Telefon, um ihre Lieben anzurufen, obwohl alle Leitungen überlastet waren und es noch eine ganze Woche lang bleiben würden. Andere gingen ungeachtet des bitterkalten Januarwetters auf die Straße, um mit Nachbarn oder Fremden mitzufühlen, kleine Akte des Vandalismus zu begehen oder anderen Unsinn zu machen – ein Trend, der sich fortsetzen und zumindest im Gebiet von Concord in einer kleinen Welle von Krawallen am Presidents Day gipfeln würde.
Ich selbst habe den Fernseher abgeschaltet und bin zur Arbeit gegangen. Es war meine vierte Woche als Detective, ich ermittelte in einem Fall von Brandstiftung und hatte den starken und letztlich zutreffenden Verdacht, dass der nächste Tag im Präsidium arbeitsreich und stressig werden würde.
Aber die Frage ist, was war mit Peter Zell? Was hat er getan, als die Sendung vorbei war? Wen hat er angerufen?
Eine Bestandsaufnahme der nackten Tatsachen lässt darauf schließen, dass Zell zwar versucht hat, sich nichts anmerken zu lassen, aber die ganze Zeit niedergeschlagen war, weil die unmittelbar bevorstehende Vernichtung der Erde im Bereich des Möglichen lag. Und man kann sich unschwer vorstellen, dass er am Abend des 3. Januar, als er die schlimmen Nachrichten im Fernsehen sah, über die Niedergeschlagenheit hinaus in eine schwere Depression abrutschte. Elf Wochen lang war er in einem Nebel der Furcht herumgetaumelt, und vor zwei Tagen hatte er sich dann mit einem Gürtel erhängt.
Und warum fahre ich dann in Concord herum und versuche herauszufinden, wer ihn ermordet hat?
Ich stehe auf dem Parkplatz des Somerset Diner Ecke Clinton, South und Downing Street. Nachdenklich betrachte ich den vom morgendlichen Strom von Fußgängern und Fahrradfahrern aufgewühlten Schnee auf dem Parkplatz und vergleiche diesen zerfurchten braunweißen Matsch mit der unberührten Schneedecke auf dem Rasen vor dem Haus der Littlejohns. Wenn Sophia heute Morgen
Weitere Kostenlose Bücher