Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
was er nach außen hin mit einem Achselzucken abtut.
Und nun hat es – jedenfalls seinem Schwager zufolge – den Anschein, als wäre er außerhalb des Büros nicht nur betroffen, sondern überwältigt, ja verzweifelt gewesen. Jemand, der letztendlich dazu neigen würde, sich das Leben zu nehmen.
Oh, Peter , denke ich. Was ist nur los mit dir, mein Freund?
»Und diese Stimmung, diese Depression, die hatte sich in letzter Zeit nicht gebessert?«
»O nein. Himmel, nein. Im Gegenteil. Es war viel schlimmer seit, Sie wissen schon, seit Januar. Seit der endgültigen Entscheidung.«
Die endgültige Entscheidung. Das Tolkin-Interview. Dienstag, 3. Januar. Ein Sonderbericht der CBS News . 1,6 Milliarden Zuschauer weltweit. Ich warte einen Moment lang schweigend, lausche Kyles energischen Schritten oben. Dann denke ich, ach, was soll’s, hole den kleinen weißen Notizblock aus meiner Brusttasche und reiche ihn Erik Littlejohn. »Was können Sie mir darüber sagen?«
Ich beobachte ihn, während er die beiden Wörter liest. Liebe Sophia .
»Wo kommt das her?«
»Ist das Peter Zells Handschrift?«
»Sicher. Das heißt, ich glaube schon. Wie gesagt …«
»Sie kannten ihn nicht so gut.«
»Richtig.«
»Er wollte Ihrer Frau etwas schreiben, bevor er starb, und hat es sich dann anders überlegt. Wissen Sie, was es gewesen sein könnte?«
»Nun ja, vermutlich ein Abschiedsbrief. Ein unvollendeter Abschiedsbrief.« Er blickt auf, schaut mir in die Augen. »Was sollte es sonst sein?«
»Ich weiß es nicht«, sage ich und stecke mein kleines Buch ein. »Vielen Dank für Ihre Zeit. Und wenn Sie Sophia bitte Bescheid sagen würden, dass ich noch mal anrufen werde, um einen neuen Termin zu vereinbaren.«
Erik steht ebenfalls auf. Seine Stirn furcht sich. »Sie müssen trotzdem mit ihr reden?«
»Ja.«
»In Ordnung, klar.« Er nickt und seufzt. »Das ist eine Prüfung für sie. Das alles. Aber ich sage ihr selbstverständlich Bescheid.«
Ich steige in den Impala, fahre aber nirgendwohin, noch nicht. Ungefähr eine Minute lang bleibe ich vor dem Haus sitzen, bis Littlejohn mit Kyle herauskommt und die von einer dicken Schicht jungfräulichen Schnees wie mit Vanille-Buttercreme-Glasur überzogene Rasenfläche überquert. Ein linkischer Zehnjähriger in übergroßen Winterstiefeln, dessen spitze Ellbogen unter den hochgeschobenen Ärmeln seiner Windjacke hervorstehen.
In Zells Haus habe ich das Foto gesehen, und ich weiß noch, dass ich ihn für einen durchschnittlich aussehenden, ja sogar hässlichen Jungen hielt. Doch nun revidiere ich dieses Urteil, weil ich ihn mit den Augen seines Vaters sehe: ein kleiner Prinz, der im Morgenlicht tanzt, während er durch den Schnee marschiert.
Als ich losfahre, denke ich an das Tolkin-Interview und stelle mir Peter Zell an jenem Abend vor.
Es ist der 3. Januar, ein Dienstag, und er ist von der Arbeit nach Hause gekommen, hat es sich in seinem sterilen grauen Wohnzimmer bequem gemacht und schaut auf den Bildschirm des kleinen Fernsehers.
Am 2. Januar hatte sich der Asteroid 2011 GV 1, bekannt als Maia, endlich aus der Konjunktion mit der Sonne gelöst, sodass er von der Erde aus wieder zu beobachten war; endlich war er nah und hell genug, dass die Wissenschaftler ihn deutlich sehen, neue Datensätze sammeln, es wissen konnten. Beobachtungen strömten herein und wurden in einem Sammelzentrum – dem Jet Propulsion Lab der NASA in Pasadena, Kalifornien – kompiliert und verarbeitet. Seit September hatten die Chancen fünfzig zu fünfzig gestanden, aber nun würde bald die Entscheidung fallen – entweder hundert Prozent oder null.
Also, da sitzt Peter Zell auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer, die neuesten Artikel über den Asteroiden vor sich ausgebreitet, und die ganzen wissenschaftlichen Diskussionen, die angstvollen Analysen laufen letztlich auf Vorhersagen und Gebete hinaus, auf ja oder nein .
CBS hatte die Auktion um die Senderechte gewonnen. Möglich, dass die Welt unterging, aber wenn nicht, würden sie noch jahrelang von dem Quotencoup zehren. Es begann mit einem aufwendigen Einspieler, der sich auf den Chefingenieur des JPL , Leonard Tolkin, konzentrierte, den Mann, der diesen letzten Datenverarbeitungsschub überwachte. »Ich werde derjenige sein«, hatte er David Letterman drei Wochen zuvor mit zuckendem Lächeln versprochen, »der die gute Nachricht überbringt.« Blass, Brille, weißer Laborkittel, ein vom Staat bezahlter Astronom wie aus dem Castingbüro.
In der
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