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Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Polizist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Winters
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Nach den Littlejohns habe ich Dotseth angerufen, und er hat gnädig meine Entschuldigung angenommen, dass ich seine Zeit verschwendet habe, hat seine Witzchen gemacht, er wisse nicht, wer ich sei, von welchem Fall ich spräche.
    Andreas will gerade noch etwas sagen, als rechts von uns, am oberen Ende der Phenix, wo die Straße den höchsten Punkt erreicht und zur Main Street hinunterführt, lautes, ungestümes Hupen ertönt: ein Stadtbus, der Fahrt aufnimmt, als er die Straße herunterrast. Die Jugendlichen jauchzen und schreien und winken dem Bus zu, und Detective Andreas und ich sehen uns an. Der städtische Busverkehr ist eingestellt worden, und auf der Phenix Street hat es sowieso nie eine Nachteulenlinie gegeben.
    Der Bus kommt verdammt schnell näher, zwei Räder auf dem Bürgersteig, und ich ziehe meine Dienstwaffe und ziele in die grobe Richtung der breiten Windschutzscheibe. Es ist wie ein Traum in der Dunkelheit, ein riesiger Stadtbus, auf dessen Anzeigetafel AUSSER BETRIEB steht, segelt hangabwärts auf uns zu wie ein Geisterschiff. Immer näher, und wir können den Fahrer sehen, Anfang zwanzig, männlich, weiß, Baseball-Kappe falsch herum auf dem Kopf, ungepflegter kleiner Schnurrbart, die Augen weit aufgerissen vor Abenteuerlust und Entzücken. Sein Kumpel, schwarz, ebenfalls Anfang zwanzig, ebenfalls mit Baseball-Kappe, lehnt sich aus der offenen Drucklufttür auf der Beifahrerseite und brüllt: »Ya-huu!« Jeder wollte schon immer mal irgendwas tun, und hier kommen die Typen, die schon immer mal eine Spritztour mit einem Stadtbus machen wollten.
    Die Teenager auf dem Bürgersteig bei uns lachen sich halb tot und jubeln den beiden zu. Andreas starrt auf die Scheinwerfer, und ich stehe mit meiner gezückten Waffe da und frage mich, was ich unternehmen soll. Wahrscheinlich gar nichts, ich sollte sie einfach vorbeirauschen lassen.
    »Also dann«, sagt Andreas.
    »Was?«
    Aber es ist zu spät. Er verdreht den Körper, schnippt die halb gerauchte Zigarette zur Bar zurück und wirft sich vor den Bus.
    »Nein«, ist alles, was ich noch herausbringe, eine kalte, kummervolle Silbe. Er hat es zeitlich genau abgepasst, hat die Vektoren berechnet, wo Bus und Mensch aufeinandertreffen, während sie sich mit ihren unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch den Raum bewegen. Bamm!
    Der Bus hält kreischend an, und die Zeit bleibt stehen, Standbild: das Mädchen im Ballkleid, das Gesicht in die Armbeuge des Gothic-Typen gedrückt – ich mit offenem Mund und gezückter Waffe, die nutzlos auf die Seite des Busses gerichtet ist – der Bus in verdrehtem Winkel, das hintere Ende auf dem Bürgersteig, das vordere Ende in die Straße ragend. Dann löst sich Detective Andreas langsam vom Kühler und sackt auf die Fahrbahn, und die Menge in der Bar strömt heraus und umringt mich und schnattert und schreit. Der Autodieb und sein Freund steigen die Stufen herab, aus dem Bus, bleiben ein paar Schritte von Andreas’ zerschmettertem Körper entfernt stehen, starren ihn mit offenem Mund an.
    Und dann steht Detective Culverson neben mir, eine feste Hand an meinem Handgelenk, und drückt die Waffe sanft nach unten. McGully drängt sich durch die Menge, ruft: »Polizei!« und wedelt mit seiner Marke, ein Coors in der anderen Hand, Zigarre im Mund. Mitten auf der Phenix Road geht er auf ein Knie und legt einen Finger an Andreas’ Hals. Culverson und ich stehen in der erschrockenen Menge, kalte Atemwolken wehen aus unseren Mündern, aber Andreas’ Kopf ist ganz nach hinten gedreht, sein Genick ist gebrochen. Er ist tot.
    »Na, Palace, was meinst du?« McGully rappelt sich hoch und schaut zu mir herüber. »Selbstmord oder Mord?«

DRITTER TEIL
    Wunschdenken
    Dienstag, 27. März
    Rektaszension 19 11 43,2
    Deklination -34 36 47
    Elongation 83,0
    Delta 3,023 AE

1
    »Allmächtiger Gott, Henry Palace, was ist denn mit dir passiert?«
    Ich finde, das sind ganz schön harsche Worte aus dem Mund einer ehemaligen Freundin, die ich seit sechs Jahren nicht mehr gesehen habe, aber dann fällt mir wieder ein, wie ich aussehe: mein Gesicht, mein Auge. Ich hebe die Hand, rücke den steifen Mullpacken zurecht, glätte meinen Schnurrbart, spüre die stacheligen Bartstoppeln an meiner Kinnlade.
    »Ich hab ein paar harte Tage hinter mir«, sage ich.
    »Tut mir leid, das zu hören.«
    Es ist halb sieben Uhr morgens, Andreas ist tot, Zell ist tot, Toussaint ist tot, und ich stehe hier in Cambridge auf einer Fußgängerbrücke über den Charles River

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