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Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Polizist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Winters
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und mache Small Talk mit Alison Koechner. Und es ist seltsam angenehm hier draußen, es muss über zehn Grad warm sein, als wäre ich bei der Überquerung der Landesgrenze von Massachusetts in südliche Breiten versetzt worden. Alles, die sanfte Frühlingsbrise, die in der Morgensonne glitzernde Brücke, das beruhigende Plätschern des Flusses im Frühling, all das wäre wohltuend in einer anderen Welt, einer anderen Zeit. Aber ich schließe die Augen, und was ich sehe, ist Tod: Andreas, der an der Frontpartie eines Busses klebt; J.T . Toussaint, rücklings gegen die Wand geschleudert, mit einem Loch in der Brust; Peter Zell in der Toilette.
    »Ist schön, dich zu sehen, Alison.«
    »Ach ja?«, sagt sie.
    »Ganz im Ernst.«
    »Lass uns das alles überspringen, ja?«
    Das wilde Gewirr orchideenroter Haare, an das ich mich erinnere, ist auf Erwachsenenlänge gestutzt und mit einem System kleiner, effizienter Clips zu einem Knoten gebändigt worden. Sie trägt eine graue Hose und einen grauen Blazer mit einer kleinen goldenen Nadel am Revers: Wirklich, sie sieht großartig aus.
    »Also.« Alison holt einen schmalen weißen Umschlag von der Größe eines Briefes aus einer Innentasche ihres Blazers. »Dein Freund, dieser Mr. Skeve …«
    »Er ist nicht mein Freund«, falle ich ihr sofort ins Wort und hebe einen Finger. »Er ist Nicos Mann.«
    Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Nico? Deine Schwester?«
    »Asteroid«, sage ich – nähere Erläuterung nicht erforderlich. Spontanheirat. Mussehe. Apokalyptischer Zwang. Alison nickt, sagt nur: »Wow.« Sie hat Nico kennengelernt, als diese zwölf Jahre alt war, schon damals keine Person, von der man sich vorstellen konnte, dass sie sich irgendwann einmal häuslich niederlassen würde. Eine heimliche Raucherin, die Bier aus der Kühlbox in Großvaters Garage stibitzte, eine Aneinanderreihung schlimmer Frisuren und disziplinarischer Probleme.
    »Okay, also: dein Schwager, Skeve. Er ist ein Terrorist.«
    Ich lache. »Nein. Skeve ist kein Terrorist, welcher Art auch immer. Er ist ein Idiot.«
    »Tja, die Schnittmenge dieser beiden Kategorien im Venn-Diagramm kann sehr groß sein.«
    Seufzend lehne ich mich mit einer Hüfte an den rostigen grünen Stahl des Brückengeländers. Ein Rennruderboot durchschneidet die Oberfläche des Flusses, die Ruderer ächzen, als sie vorbeischießen. Ich mag diese jungen Leute, die morgens um sechs aufstehen, um Rudersport zu betreiben, sich in Form zu halten, ihr Programm durchzuziehen. Diese jungen Leute gefallen mir.
    »Was würdest du sagen«, fragt Alison, »wenn ich dir erzählen würde, dass die Regierung der Vereinigten Staaten eine solche Katastrophe schon vor langer Zeit vorausgesehen und einen Fluchtplan vorbereitet hat? Dass sie in aller Stille ein bewohnbares Habitat außerhalb der Reichweite des Asteroiden und seiner zerstörerischen Auswirkungen erschaffen hat, um die Besten und Klügsten der Menschheit dorthin umzusiedeln und sie in Sicherheit zu bringen, damit sie der Gattung neues Leben einhauchen können?«
    Ich hebe die Hand ans Gesicht und reibe mir die Wange, die erst jetzt aus ihrer Taubheit erwacht und heftig zu schmerzen beginnt.
    »Ich würde sagen, das ist Humbug. Hollywood-Unsinn.«
    »Und du hättest recht. Aber es gibt Leute, die nicht so scharfsichtig sind.«
    »Ach du heilige Scheiße.« Ich erinnere mich an Derek Skeve auf der dünnen Matratze in seiner Zelle, das clo wneske Grinsen des verzogenen Bengels. Ich wünschte, ich könnte es dir sagen, Henry, aber es ist ein Geheimnis .
    Alison öffnet den weißen Umschlag, faltet drei steife weiße Blätter auseinander und reicht sie mir, und ich verspüre den Impuls zu sagen, weißt du was? Vergiss die ganze Sache. Ich muss einen Mordfall lösen. Muss ich aber nicht. Nicht heute.
    Drei einzeilig beschriebene Seiten, Maschinenschrift, kein Wasserzeichen, kein Behördensiegel, hier und dort zernarbt von dicken schwarzen Streichungen. 2008 veranstaltete das Directorate of Strategic Planning der U.S. Air Force ein Planspiel, in das man die Mittel und das Personal sechzehn verschiedener Bundesbehörden einbezog, darunter das Heimatschutzministerium, die Defense Threat Reduction Agency und die NASA . Bei dem Planspiel ging man von einem Ereignis »oberhalb der Schwelle einer weltumspannenden Katastrophe« und einem Szenario »mit kurzer Vorwarnzeit« aus – mit anderen Worten, genau von dem, was nun eingetreten ist – und erwog jede mögliche Reaktion: Angriff mit

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