Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
gelangt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kerl bloß ein weiterer Hänger war, dürfte bei fünfundneunzig Prozent liegen.«
»Jep«, sage ich.
In dem umfunktionierten Zeitungskiosk ist es dunkel, zwei nackte Glühbirnen und eine weitere Lichterkette, eine altmodische Registrierkasse und eine kompakte, glänzende Espressomaschine auf dem schwarzen Tresen.
»Seid gegrüßt, Menschen«, sagt der Eigentümer, ein junger Asiate, vielleicht neunzehn Jahre alt, mit Pork-Pie-Hut, Hornbrille und dünnem Bart. Er bedenkt Alison mit einem fröhlichen militärischen Gruß. »Ein Vergnügen, wie immer.«
»Danke, Coffee Doctor«, sagt sie. »Wer liegt in Führung?«
»Mal sehen.«
Ich folge seinem Blick, sieben Kaffeebecher aus Pappe, die am anderen Ende des Tresens aufgereiht sind, jeder mit dem Namen eines Kontinents beschriftet. Er hält ein paar schräg, schüttelt sie, mustert die Anzahl der jeweils hineingeworfenen Bohnen.
»Antarktis. Konkurrenzlos.«
»Wunschdenken«, meint Alison.
»Was Sie nicht sagen, Schwester.«
»Zweimal das Übliche.«
»Ihr Wunsch ist mir Befehl.« Er arbeitet schnell, stellt zwei zierliche Mokkatassen aus Keramik bereit, tunkt das Dampfrohr in ein Milchgefäß aus Edelstahl und schaltet es ein.
»Der beste Kaffee der Welt«, bemerkt Alison.
»Worin bestehen die fünf Prozent?«, frage ich, während die Espressomaschine rattert und zischt.
Alison lächelt schwach. »Ich wusste, dass du das sagen würdest.«
»Ich möchte es bloß wissen.«
»Henry«, sagt Alison, als der Junge uns die beiden kleinen Tassen hinstellt. »Darf ich dir mal was sagen? Du kannst diesem Fall bis in alle Ewigkeit nachgehen, und du kannst all seine Geheimnisse aufdecken, kannst die Zeitleiste dieses Mannes bis zurück zu seiner Geburt und der Geburt seines Vaters und dessen Vater erstellen. Die Welt geht trotzdem unter.«
»Ja, ich weiß.« Wir haben uns in einer Ecke des Ersatz-Cafés an einem alten Spieltisch aus Kunststoff niedergelassen, den der Coffee Doctor aufgestellt hat. »Aber trotzdem, worin besteht die fünfprozentige Chance in deiner Analyse?«
Sie seufzt und zeigt mir noch mal dieses kleine, sanfte, sarkastische Augenrollen.
»Die fünf Prozent bestehen darin, dass dieser Toussaint dich mit dem Aschenbecher attackiert und abzuhauen versucht hat. Bei drei bewaffneten Detectives im Zimmer. Das ist ein allerletzter, todesmutiger Versuch. Eine Verzweiflungstat.«
»McGully hat gedroht, ihn hinrichten zu lassen.«
»Im Spaß.«
»Er hat Angst. Er weiß das nicht.«
»Klar, sicher.« Sie wiegt den Kopf hin und her, während sie darüber nachdenkt. »Aber du drohst gleichzeitig, ihn wegen eines geringfügigen Gesetzesverstoßes festzunehmen.«
»Für zwei Wochen. Verstoß gegen das Beimischungsverbot. Eine rein symbolische Strafe.«
»Ja«, sagt sie. »Aber selbst bei einer rein symbolischen Strafe wirst du das Haus durchsuchen, nicht wahr?«
Alison hält inne, um an ihrem Espresso zu nippen. Ich lasse meinen vorerst stehen und starre sie an. Oh, Palace , denke ich. Oh, Palace. Heiliger Bimbam. Jemand anders kommt ins Café, ein Mädchen im College-Alter; der Coffee Doctor sagt: »Sei gegrüßt, Mensch«, schmeißt seine Maschine an, und das Mädchen wirft eine Bohne in den Becher mit der Aufschrift EUROPA .
»Trotzdem, eine Chance von fünf Prozent«, sagt Alison. »Aber du weißt ja, wie das mit Wahrscheinlichkeiten so ist.«
»Jep.« Ich trinke meinen Espresso, der wirklich köstlich ist. »Jep, jep, jep.«
Ich bin total aufgedreht. Ich spüre es. Der Kaffee, der Morgen. Eine fünfprozentige Chance.
Auf der 93 nach Norden, mit neunzig Stundenkilometern, acht Uhr früh, kein anderer Wagen auf der Straße.
Irgendwo zwischen Lowell und Lawrence hat mein Handy drei Balken, und ich rufe Nico an, wecke sie auf und teile ihr die schlechte Nachricht mit: Derek hat sich auf irgendwelche Dummheiten eingelassen, und er kommt nicht raus. Ich gehe nicht allzu sehr in die Details. Das Wort Terrorist benutze ich nicht. Ich erzähle ihr nichts von der Geheimorganisation, ich erzähle ihr nichts vom Mond. Ich erzähle ihr nur, was Alison über die gegenwärtige Militärjustiz gesagt hat: Sie haben ihn abgestempelt, und das heißt, er geht nirgendwohin.
Ich bin mitfühlend, drücke mich aber klar aus: So stehen die Dinge, man kann nichts machen, und dann wappne ich mich für ihre tränenreiche, gehässige oder wütende Entgegnung.
Stattdessen schweigt sie, und ich hebe das Handy hoch und
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