Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
Atomsprengkörpern, Versuche, das Objekt langsam abzubremsen oder zu beschleunigen, kinetische Optionen. Die Schlussfolgerung lautete, dass sich realistische Reaktionsmöglichkeiten auf den Zivilschutz beschränken würden.
Gähnend blättere ich weiter. Ich bin noch immer auf der ersten Seite. »Alison?«
Sie verdreht ein wenig die Augen – der leise, sanfte Sarkasmus ist mir so vertraut, dass sich ein Ring um mein Herz legt – und nimmt die Papiere wieder an sich. »Es gab eine Gegenstimme, Palace. Dr. Mary Catchman, eine Astrophysikerin vom Lawrence Livermore National Laboratory, bestand darauf, dass die Regierung vorbeugend handeln und bewohnbare Habitate auf dem Mond errichten müsse. Als Maia dann erschien, redeten sich bestimmte Leute ein, das Verteidigungsministerium hätte sich ihrer Ansicht angeschlossen und es gäbe solche Zufluchtsorte.«
»Basen?«
»Ja.«
»Auf dem Mond?«
»Ja.«
Ich blinzle in die graue Sonne, sehe Andreas, wie er am Bus klebt und langsam herunterrutscht. WIR MÜSSEN EINFACH NUR BETEN . Geheime Zufluchtsorte der Regierung. Die Unfähigkeit der Leute, dieser Sache ins Auge zu blicken, ist wirklich schlimmer als die Sache selbst.
»Also, Derek ist mit seinem Geländewagen auf diesem Stützpunkt der Nationalgarde herumgebraust und hat wonach gesucht, nach Plänen? Fluchtkapseln? Einer riesigen Schleuder?«
»Oder so.«
»Das macht ihn noch nicht zum Terroristen.«
»Ich weiß, aber das ist die Sprachregelung. So wie die Militärjustiz gegenwärtig funktioniert, kann man nichts mehr machen, wenn sie ihn erst mal dazu abgestempelt haben.«
»Na ja, ich bin kein Fan von ihm, aber Nico liebt ihn. Gibt es wirklich nichts …?«
»Nein. Gar nichts.« Alison blickt lange auf den Fluss hinaus, zu den Ruderern, den Enten, den parallel zur Wasserlinie dahinziehenden Wolken. Sie ist nicht das erste Mädchen, das ich jemals geküsst habe, aber sie bleibt diejenige, die ich in meinem bisherigen Leben am häufigsten geküsst habe. »Tut mir leid. Ist nicht meine Baustelle.«
»Und was ist deine Baustelle?«
Sie schweigt; ich wusste, dass sie nicht darauf antworten würde. Wir sind immer miteinander in Verbindung geblieben, hin und wieder eine E-Mail, alle paar Jahre der Austausch von Telefonnummern. Ich weiß, dass sie in New England stationiert ist, und ich weiß, dass sie bei einer Bundesbehörde arbeitet, auf einer Ebene der Verbrechensbekämpfung operiert, die Größenordnungen über der meinen liegt. Bevor wir miteinander gegangen sind, hatte sie Tiermedizin studieren wollen.
»Noch weitere Fragen?«
»Nein.« Flüchtig schaue ich auf den Fluss, dann wieder zu ihr. »Moment. Doch. Ein Freund von mir hat gefragt, warum wir die Pakistanis daran hindern wollen, den Asteroiden mit Atomwaffen anzugreifen, wenn sie das möchten.«
Alison stößt ein kurzes, freudloses Lachen aus und fängt an, die Papiere in Streifen zu zerreißen. »Sag deinem Freund«, sagt sie, während sie die Streifen in kleinere Streifen und diese in noch kleinere zerreißt, »falls sie ihn treffen – was nicht der Fall sein wird, aber falls doch –, kriegen wir anstelle eines Asteroiden Tausende kleinerer, aber immer noch verheerender Asteroiden. Abertausende verstrahlter Asteroiden.«
Ich schweige. Mit ihren kleinen, tüchtigen Fingern streut Alison die winzigen Papierfetzen in den Charles, dann dreht sie sich zu mir um und lächelt.
»Wie auch immer«, sagt sie. »Woran arbeitest du gerade, Henry?«
»A n nichts«, sage ich und wende das Gesicht ab. »Eigen tlich an gar nichts.«
Aber ich erzähle ihr trotzdem vom Zell-Fall, ich kann nicht anders. Während wir vom Memorial Drive aus die John F. Kennedy Street entlang zum Harvard Square gehen, erzähle ich ihr die ganze Geschichte von vorn bis hinten, und dann frage ich sie, was sie aus professioneller Sicht von dem Fall hält. Wir sind an einem Kiosk angekommen, der früher mal ein Zeitungsstand war, jetzt jedoch mit Lichterketten behängt ist; draußen brummt ein gedrungener tragbarer Generator, grummelnd und zischend wie ein Miniaturpanzer. Die Glasscheibe des Zeitungsstands ist geschwärzt, und jemand hat zwei große Pappkartons über die Eingangstüren geklebt und mit Marker in großen schwarzen Buchstaben THE COFFEE DOCTOR draufgeschrieben.
»Tja«, sagt sie langsam, als ich ihr die Tür aufhalte. »Ich kenne das Beweismaterial ja nicht aus eigener Anschauung, aber es klingt auf alle Fälle so, als wärst du zur richtig en Schlussfolgerung
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