Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
seinen ganzen Mut auf – seine Schwester ist einen Moment lang hinausgegangen, auf die Toilette oder um kurz etwas zu erledigen –, er ist nervös, eine Schweißperle rinnt ihm von der Stirn unter die Brille … er erhebt sich von seinem Stuhl, zieht die oberste Schublade des Schreibtischs auf …
Draußen schreien Kyle und sein Freund vor Lachen. Ich halte meinen Blick auf Sophia gerichtet.
»Im Oktober haben Sie es sich also dann zusammengereimt.«
»Richtig.« Sie schaut kurz hoch, hält sich jedoch nicht mit der Frage auf, woher ich das weiß. »Und ich war wütend. Ich meine, Herrgott noch mal, wir sind doch immer noch Menschen, nicht wahr? Können wir uns nicht einfach wie Menschen benehmen, bis es vorbei ist?« In ihrer Stimme liegt echter Zorn. Sie schüttelt verbittert den Kopf. »Es klingt lächerlich, ich weiß.«
»Nein, Ma’am«, sage ich. »Überhaupt nicht.«
»Ich habe Peter zur Rede gestellt, er hat zugegeben, dass er den Block genommen hat, und das war’s. Ich habe … tut mir leid, das zu sagen, aber ich habe seitdem nicht mehr mit ihm gesprochen.«
Ich nicke. Ich hatte recht. Gratulation. Zeit zu gehen. Aber ich muss alles wissen. Unbedingt.
»Warum haben Sie mir das alles nicht schon früher erzählt? Warum haben Sie mich nicht zurückgerufen?«
»Na ja, es war … Ich habe eine pragmatische Entscheidung getroffen. Ich habe einfach … beschlossen …«, beginnt sie, und dann sagt Erik Littlejohn von der Tür her: »Liebling.«
Er steht auf der Schwelle, steht schon wer weiß wie lange dort, Schnee fällt sanft um ihn herum. »Nein.«
»Ist schon okay.«
»Nein, ist es nicht. Noch mal hallo, Detective.« Er tritt ein, Schneeflocken schmelzen auf den Lederschultern seines Mantels zu Wasser. »Ich habe ihr gesagt, sie soll lügen. Und falls das Folgen hat, sollte ich sie tragen.«
»Ich glaube nicht, dass es irgendwelche Folgen haben muss. Ich will nur die Wahrheit wissen.«
»Gut. Nun, die Wahrheit ist, ich habe keinen Anlass gesehen, Ihnen von Peters Diebstahl und Drogenmissbrauch zu erzählen, und das habe ich Sophia gesagt.«
»Wir haben die Entscheidung gemeinsam getroffen.«
»Ich habe dich dazu überredet.« Erik Littlejohn schüttelt den Kopf und schaut mir beinahe streng in die Augen. »Ich habe ihr gesagt, es hätte keinen Sinn, es Ihnen zu erzählen.«
Ich stehe auf, um ihn anzusehen, und er erwidert meinen Blick unnachgiebig.
»Warum?«, frage ich.
»Was geschehen ist, ist geschehen. Der Vorfall mit Sophias Rezeptblock hatte nichts mit Peters Tod zu tun, und es war nicht nötig, die Polizei davon zu unterrichten.« Er sagt »die Polizei«, als wäre das ein abstraktes Konzept, irgendwo da draußen in der Welt, »die Polizei« im Gegensatz zu mir, einer Person, die gerade mit einem offenen blauen Buch in ihrem Wohnzimmer steht. »Es der Polizei zu erzählen würde bedeuten, es der Presse und damit der Öffentlichkeit zu erzählen.«
»Meinem Vater«, sagt Sophia leise und blickt dann auf. »Er meint, es meinem Vater zu erzählen.«
Ihrem Vater? Ich denke zurück, kratze mir den Schnurrbart und rufe mir Officer McConnells Bericht ins Gedächtnis: Vater Martin Zell, PleasantView-Seniorenheim, Demenz im Frühstadium. »Es war schon schlimm genug für ihn, dass Peter sich umgebracht hat. Hätte er nun auch noch erfahren sollen, dass sein Sohn drogensüchtig gewesen war?«
»Was für einen Sinn hätte es gehabt, ihn damit zu belasten?«, sagt Erik. »In einer solchen Zeit? Ich habe ihr gesagt, dass sie es Ihnen nicht erzählen soll. Es war meine Entscheidung, und ich übernehme die volle Verantwortung.«
»Okay«, sage ich. »Okay.«
Ich seufze. Ich bin müde. Mir tun die Augen weh. Zeit zu gehen.
»Ich habe noch eine Frage, Ms. Littlejohn. Sie sind offenbar davon überzeugt, dass Peter sich umgebracht hat. Darf ich fragen, wieso?«
»Weil er es mir erzählt hat«, sagt sie leise.
»Wie bitte? Wann?«
»An dem Tag, als wir in meiner Praxis zu Mittag gegessen haben. Es war schon losgegangen, wissen Sie. Ein Fall kam in den Nachrichten. In Durham. Die Grundschule?«
»Ja.« Ein Mann, der in Durham aufgewachsen war, in der Küstenregion. Er kehrte dorthin zurück und erhängte sich im Garderobenschrank des Klassenzimmers seiner vierten Klasse, damit die Lehrerin, die er gehasst hatte, ihn finden würde.
Sophia drückt sich die Fingerspitzen in die Augen. Erik tritt hinter sie, legt ihr die Hände tröstend auf die Schultern.
»Jedenfalls, Pete … Peter sagte,
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