Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
Frauen. »Bei mir sieht’s schrecklich aus. Wohin gehen wir?«
»Sie haben gesagt …« Sie ist schon auf dem Weg zu meinem Wagen, ich folge ihr und rutsche auf einem Flecken Glatteis in der Auffahrt ein wenig aus, »… Sie haben gesagt, Sie hätten vielleicht Informationen, die für meinen Fall von Belang seien. Über Peters Tod.«
»So ist es«, sagt sie. »Glaube ich zumindest. Keine Informationen. Nur … na ja … eine Idee. Was ist denn mit Ihrem Gesicht passiert?«
»Lange Geschichte.«
»Tut es weh?«
»Nein.«
»Das ist gut.«
Tatsächlich hat mein verletztes Auge den ganzen Tag lang nicht gemuckt, aber noch während ich das Wort Nein ausspreche, erfasst ein starker Schmerzimpuls, der von der Augenhöhle ausgeht, die rechte Seite meines Gesichts, als würde mich die Verletzung für eine Lüge bestrafen. Ich kneife das heile Auge zusammen, während eine Woge der Übelkeit über mich hinwegspült, und sehe Naomi auf altmodische Weise an der Beifahrertür stehen und darauf warten, dass ich sie ihr öffne, und das tue ich, und als ich auf meiner Seite bin und in den Wagen steige, streckt sie fasziniert die Hand nach dem Computer am Armaturenbrett aus, sodass sie den Bildschirm fast, aber nicht ganz berührt.
»Also, was für eine Idee ist das?«
»Wie funktioniert das?«
»Ist einfach nur ein Computer. Damit kann man verfolgen, wo jedes andere Mitglied der Truppe zu jedem gegebenen Zeitpunkt ist.«
»Wofür ist diese Taste?«
»Funkverbindung zur Leitstelle. Was für eine Idee hatten Sie zu dem Fall?«
»Es ist wahrscheinlich gar nichts.«
»Okay.«
Sie schaut aus dem Fenster oder auf ihr geisterhaftes Spiegelbild in der Scheibe. »Warum reden wir nicht beim Abendessen darüber?«
Eddes legt sofort ihr Veto gegen den Somerset Diner ein, sodass praktisch nur die Bars, die Piraten-Fast-Food-Schuppen und das Panera übrig bleiben. Ich habe von einem gehobenen Restaurant in Boston gehört, das noch geöffnet hat und dessen Eigentümer sich durch Bestechung den Preiskontrollen entzogen haben; dort kriegt man weiße Tischdecken und alles, was dazugehört, aber nach dem, was die Leute sagen, würde es mich mein letztes Geld kosten.
Naomi und ich landen schließlich bei Mr. Chow’s. Wir schauen uns über eine Kanne dampfenden Jasmin-Tee auf einem fettfleckigen Linoleumtisch hinweg an.
»Und, wie läuft’s denn so?«
»Wie bitte?«
»Verzeihung, wie würden Sie es in der Polizistensprache ausdrücken?« Ein kleines, spöttisches Lächeln. »Wie ist der Status des Falls?«
»Tja, also, wir haben einen Verdächtigen festgenommen.«
»Wirklich? Und wie ist das gelaufen?«
»Gut.«
Ich könnte ihr mehr erzählen, lasse es aber bleiben. Der Verdächtige hat mich mit einem maßstabsgetreuen Modell des Kapitols von New Hampshire angegriffen. Der Verdächtige war ein Drogendealer; entweder hat er das Opfer mit Drogen versorgt oder das Opfer ihn. Der Verdächtige ist tot. Ms. Eddes scheint sich damit zufriedenzugeben, dass sie nichts Genaueres erfährt, und überhaupt kommt unser Essen ziemlich schnell, ein riesiger Drehteller voller Teigtaschen, Suppen und Huhn mit Cashew-Kernen. Die Wörter Chow! Chow! blinken in pinkfarbenem Neon im Fenster direkt neben unserem Tisch.
»Was für eine Idee hatten Sie nun zu dem Fall?«
»Wissen Sie was?«
»Was?«
Ich wusste, dass sie das tun würde. Es hinauszögern, aufschieben, ausweichen. Ich habe das seltsame Gefühl, sie sehr gut zu kennen.
»Gönnen Sie uns eine Stunde.«
»Eine Stunde?«
»Bitte, Henry, ich würde wirklich gern …«
Sie sieht mich mit klaräugiger Aufrichtigkeit an, ohne ihr übliches neckisches Getue. Ich mag es sehr, dieses offene Gesicht, ihre blassen Wangen, die Symmetrie ihres rasierten Schädels. »Ich weiß, ich habe angerufen und gesa gt, ich hätte Ihnen was mitzuteilen. Aber um die Wah rheit zu sagen, ich dachte auch, wie gern ich einfach nur, na ja, mit jemandem zu Abend essen würde.«
»Natürlich.«
»Verstehen Sie? Ein normales Gespräch führen. Zu Abend essen, ohne über den Tod zu reden.«
»Natürlich«, wiederhole ich.
»Sofern das noch möglich ist, würde ich es gern versuchen.«
»Natürlich.«
Sie hebt das schlanke, blasse Handgelenk, löst die kleine silberne Schnalle ihrer Armbanduhr und legt sie auf den Tisch zwischen uns. »Eine Stunde Normalität. Einverstanden?«
Ich strecke die Hand aus und lege sie einen Moment lang auf ihre.
»Einverstanden.«
Und so machen wir’s, wir sitzen da, wir essen
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