Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
damit aufhören.
»Die Anfechtungsklausel in einer Lebensversicherungs-Police besagt Folgendes: Wenn der Versicherungsnehmer innerhalb von zwei Jahren nach Abschluss der Police aus ir gendeinem Grund stirbt, darf die Versicherung die Tode sumstände untersuchen, bevor sie den Betrag auszahlt.«
»Okay«, sage ich. »Enthalten viele Lebensversicherungs-Policen diese Klausel?«
»O ja«, sagt Naomi. »Alle.«
Ich schenke ihr Wein nach.
»Und berufen sich die Versicherungen darauf?«
»O ja.«
»Hm.« Ich kratze mir den Schnurrbart.
»In Wahrheit haben Leute mit Merrimack-Policen noch Glück«, sagt Naomi. »Viele der größeren Gesellschaften haben nämlich sämtliche Auszahlungen auf Eis gelegt. Merrimack hingegen sagt, ja, Sie können Ihr Geld kriegen, weil wir die Police ausgestellt haben, das war der Deal, Asteroid hin oder her. Im Prinzip. Der große Boss in Omaha hat es mit Jesus, glaube ich.«
»Aha«, sage ich. »So, so.« Houdini kommt herein, schnuppert am Boden, starrt Naomi misstrauisch an und flitzt wieder hinaus. Ich habe ihm einen Schlafplatz im Badezimmer eingerichtet, nur ein alter, aufgeschnittener Schlafsack, eine Wasserschüssel.
»Aber die Unternehmenslinie ist: Wir werden sicherstellen, dass wir nicht geprellt werden, denn es gibt einen Haufen Betrüger. Ich meine, ist doch kinderleicht, bis zum Schluss in Saus und Braus zu leben, stimmt’s? Die falsche Mutter ist tot, großer Zahltag, ab auf die Bahamas. Also, so sieht die Politik momentan aus.«
»Und das heißt?«
»Jeder Anspruch wird untersucht. Jeder anfechtbare Anspruch wird angefochten.«
Mit der Weinflasche in der Hand halte ich inne und denke plötzlich, Palace, du Niete. Du totale Niete . Denn ich sehe den Chef vor mir, den blassen Gompers mit seinen Hängebacken, wie er in seinem großen Sessel sitzt und mir erzählt, Zell habe zum Zeitpunkt seines Todes keine Versicherungsmathematik mehr betrieben. Niemand schließe mehr eine Lebensversicherung ab, also gebe es keine Daten zu analysieren, keine Tabellen zu zeichnen. Deshalb habe Zell wie alle anderen in dieser Filiale daran gearbeitet, verdächtige Versicherungsansprüche zu untersuchen.
»Ist eine ganz schön harte Politik, wenn man drüber nachdenkt«, sagt Naomi, »für alle, die ihre Versicherung nicht betrogen haben, deren Mann oder wer auch immer wirklich Selbstmord begangen hat, und jetzt müssen sie noch ein, zwei Monate länger auf das Geld warten? Brutal.«
»Ja, stimmt.« In meinem Kopf arbeitet es, ich denke an Peter, Peter im McDonald’s, mit seinen hervorquellenden Augen. Die ganze Zeit lag die Antwort direkt vor mir. Schon am ersten Tag meiner Ermittlungen ist sie mir vom ersten Zeugen, den ich befragt habe, vor die Füße gelegt worden.
»Ich frage mich«, sagt Naomi, und da geht es mir genauso wie ihr, »ich frage mich, ob Peter vielleicht irgendwas rausgefunden hat, oder ob er im Begriff stand, irgendwas rauszufinden … Ich weiß es nicht. Es klingt albern. Er ist zufällig auf etwas gestoßen, und das hat ihn umgebracht?«
»Klingt überhaupt nicht albern.«
Ganz und gar nicht. Motiv. Es klingt wie ein Motiv. Palace, du totaler Versager.
»Okay.« Ich nehme auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz. »Erzählen Sie mir mehr.«
Das tut sie; sie erzählt mir mehr über die Art von Fällen, an denen Peter höchstwahrscheinlich gearbeitet hat, Fälle von versicherbarem Interesse, bei denen die Police nicht von einer Person für eine andere abgeschlossen wird, sondern von einer Organisation für eine Person. Eine Firma schließt eine Police für ihren Geschäftsführer oder Generaldirektor ab, um das Risiko finanzieller Schwierigkeiten einzudämmen, falls er sterben sollte. Ich sitze da und höre zu, merke dann jedoch, dass es mir schwerfällt, im Sitzen aufmerksam zu bleiben – angesichts des Weins, angesichts der späten Stunde, angesichts der Röte von Naomis Lippen und des fahlen Leuchtens ihrer Kopfhaut im Mondschein –, darum stehe ich auf und laufe im Zimmer hin und her, von dem kleinen Fernseher zur Küchentür, während Naomi den Kopf in den Nacken gelegt hat und mich mit spitzbübischer, belustigter Miene beobachtet.
»Bleiben Sie dadurch so schlank?«
»Unter anderem. Ich muss sehen, woran er gearbeitet hat.«
»Okay.«
»Sein Büro …« Ich schließe die Augen und versuche mich zu erinnern. »Da war keine Postablage, kein Stapel Akten auf dem Schreibtisch.«
»Nein«, sagt Naomi. »Nein. Seit wir aufgehört haben, die Computer zu
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