Der letzte Regent: Roman (German Edition)
vielen Berge und wandte sich dann dem schimmernden Rechteck zu. »Ich bin bereit.«
»Wir müssen stark sein«, sagte Zayac, als er zur Tür ging. »Du musst stark sein. Wir müssen durchhalten, bis es einen neuen Regenten gibt.« Und dann sagte er noch einmal: »Es tut mir leid.«
Die Tür öffnete sich zum Schrein unter der Pyramide in der Stillen Stadt, und dort wartete brennender Schmerz auf Tabatha.
ZWEITER TEIL
VOGEL, FLIEG!
Der bleiche Mörder spricht,
Das treue Auge bricht.
Bluestone
29
»Gefällt Ihnen der Park? Wenn Sie sich weiter gut erholen, können Sie ihn besuchen, morgen oder übermorgen.«
»Ich bin bereits dort gewesen«, sagte Xavius. Er saß vor dem Fenster und sah hinaus zu den blauen Bäumen und dem roten See. Einen Vogel mit gelben Flügeln sah er nicht. »Haben Sie das vergessen?«
»Wann sind Sie draußen gewesen?«, fragte sanft die Frau, die Marta hieß. Sie stand hinter ihm, aber er sah sie so deutlich, als hätte er Augen im Hinterkopf: schlank und blass, in ein türkisfarbenes Kittelkleid gehüllt.
»Gestern«, sagte er seltsam zufrieden. »Ich habe mich in einen Vogel verwandelt und bin geflogen, aber Sie haben etwas nach mir geworfen, einen weißen Blitz, der mir die Flügel verbrannte.«
Das Kittelkleid raschelte, und die Frau erschien links von ihm, so groß und hager, wie er sie in Erinnerung hatte, doch ihr Haar war nicht mehr dunkel, sondern blond, wie ganz zu Anfang. Wie am Anfang von was?
»Es tut mir leid, Xavius, aber gestern ging es Ihnen schlecht«, sagte Marta sanft. Sie blinzelte im durchs Fenster kommenden Sonnenschein, und ihre Augen wirkten fast normal. »Sie hatten einen Rückfall und haben geträumt. Ich habe Ihnen dies mitgebracht. Es wird verhindern, dass Sie erneut schlimme Träume haben. Es wird Ihnen helfen, sich zu erholen.«
Es war kein schlimmer Traum, dachte Xavius. Ich habe geträumt, in die Freiheit zu fliegen, aber etwas hat mir die Flügel verbrannt.
Er betrachtete das Glas in Martas Hand. Es enthielt eine blaue Flüssigkeit, die ihn an etwas erinnerte, an den Overall, den eine andere Frau getragen hatte. Eine Frau, die noch hagerer gewesen war als Marta, aber ätherisch schön.
»Medizin«, sagte Marta und hielt ihm das Glas entgegen. »Hier, trinken Sie.«
Und wenn dies ein Traum ist?, dachte er und zögerte.
Marta lächelte. »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Sie fragen sich, ob dies ein Traum ist. Wenn Sie mir ein kleines Wortspiel gestatten, Xavius: Es ist kein Traum, sondern ein Trauma. Sie sind noch immer in einer Fantasiewelt gefangen und müssen sie als falsch erkennen. Dabei wollen wir Ihnen helfen. Trinken Sie.«
Täuschte er sich, oder lag tatsächlich Schärfe in den beiden letzten Worten? Seine rechte Hand bewegte sich wie von allein und nahm das Glas. Die blaue Flüssigkeit schien das Sonnenlicht einzufangen, glitzerte und schimmerte. Er hielt das Glas unter die Nase, schnupperte und nahm einen schwachen Geruch von Muskat wahr.
»Neunundvierzig«, sagte er leise.
»Wie bitte?«, fragte Marta.
»Schon gut.« Er setzte das Glas an die Lippen und trank. Die blaue Flüssigkeit war kühl und schmeckte auch ein wenig nach Muskat.
Das leere Glas setzte er auf den Tisch.
»Darf ich jetzt in den Park?«, fragte er. Vielleicht gelang es ihm dort noch einmal, sich in einen Vogel zu verwandeln, wie das Springhörnchen, das er beobachtet hatte.
Marta ging nicht auf seine Frage ein. »Es ist wichtig, dass Sie sich erholen, Xavius. Nicht nur für Sie, sondern auch für uns.«
»Wen meinen Sie damit?«
»Die Kommission«, sagte Marta.
»Und wer ist die ›Kommission‹?« Xavius konnte sich nicht daran erinnern, dass Marta sie schon einmal erwähnt hatte.
»Sie wird darüber entscheiden, was mit Ihnen geschehen soll.« Marta beobachtete ihn, schien in seinem Gesicht nach etwas zu suchen. Als sie es nicht fand, fügte sie hinzu: »Sie entscheidet darüber, ob Sie in den Park dürfen.«
»Oh.«
»Die Kommission möchte Ihnen Fragen stellen, und um sie zu beantworten – um sie richtig zu beantworten –, müssen Sie Ihre Traumwelt verlassen und in die Realität zurückkehren. Die Medizin wird Ihnen dabei helfen.«
Xavius sah nach draußen und spürte, wie sich angenehme Wärme in seinem Bauch ausbreitete. Die blauen Bäume waren hübsch, fand er, und passten gut zu dem roten See. Es wehte kein Wind; nicht ein blaues Blatt bewegte sich, und der See lag spiegelglatt.
»Es ist eine schöne Welt«, sagte er.
»Sie hat Ihnen
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