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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Langstreckentransfer über gut siebenhundert Lichtjahre lebend und mit einigermaßen intaktem Bewusstsein überstehen würde, beiseite, bevor sie in den Vordergrund rücken und zu viel Aufmerksamkeit beanspruchen konnte. Gleichzeitig wies er den Chronass – den stummen Zuhörer in der Höhle seines Schädels – an, ein Paket aus allen wichtigen Informationen zu schnüren und für die Übermittlung vorzubereiten. Für den Fall, dass Körper und/oder Geist den Transfer nicht überlebten.
    Die einzelnen Elemente des Außenschotts glitten auseinander, und der Transferschlitten erreichte das All. Auf der linken Seite, durch das Fenster neben Xavius deutlich zu sehen, drehten sich die Rotationselemente des Konnektors, von einer deutlichen Kosimo-Aura umgeben, und pumpten Vakuumenergie in den Transferring, der auf der rechten Seite leuchtete, nur wenige Kilometer entfernt.
    Unten erstreckte sich die dunkle Kluft des Magellangrabens, dreieinhalbtausend Lichtjahre lang und sechshundert tief, ein erstaunlich leerer Bereich, in dem – wenn man die Sternendichte im Rest des Spiralarms zugrunde legte – viele Millionen Sonnen fehlten. Einige Astrophysiker des Enduriums vermuteten, dass die Alten Zivilisationen hinter dem Verschwinden all der Sterne steckten. Andere hielten eine kosmische Katastrophe für wahrscheinlicher, eine Art Supernova-Kettenbrand, was allerdings nicht die Existenz der sechs Sternhaufen im »Graben« erklärte, jeder mit etwa fünfzigtausend Sternen, deren mittlere Entfernung voneinander nur eins Komma acht Lichtjahre betrug. In zwei dieser Sternhaufen gab es von Menschen und Abnormen bewohnte Welten, Splitter der größeren Menschheit des Enduriums.
    Manovratoren gaben Schub, und der Transferschlitten drehte sich, nahm Kurs auf den Konnektorring. Dadurch geriet auch der Schlund in Sicht, am kernwärtigen – dem Zentrum der Milchstraße zugewandten – Rand des Magellangrabens gelegen: eine Dunkelwolke, die wie ein aufgerissener Rachen wirkte, darin etwa hundert Sterne, vor allem kurzlebige blaue Riesen und alte, sehr langlebige rote Zwerge.
    Xavius prägte sich alles genau ein und schickte seinem Chronass eine weitere gedankliche Anweisung. Vielleicht konnten die Navigationsspezialisten in den Streitkräften des Enduriums allein auf der Grundlage dieses Erinnerungsbilds eine Positionsbestimmung vornehmen.
    Wieder wurden die Manovratoren aktiv und richteten den Bug des Transferschlittens auf den Ring aus leuchtender Transferenergie. Der vorletzte Schlitten verschwand gerade darin, und im Ring erschien das Sprungecho, ein kurzes Aufblitzen, das Xavius’ Blick auf eine dunkle Masse weiter unten lenkte. Ein Planet ohne Sonne drehte sich dort, ein einsamer interstellarer Wanderer über der Rotationsebene der Milchstraße, so kalt, dass seine Atmosphäre gefroren war. Der Irrläufer namens Jarvin.
    »Dreißig Sekunden«, sagte jemand, der vorn an den Kontrollen saß.
    »Nach hinten mit Ihnen, Chronist.« Rogge deutete zum Heck der Transferschlittens, das sich ein wenig verjüngte. Der dortige Sessel ließ sich mit wenigen Handgriffen in eine Liege verwandeln, auf der sich Xavius ausstreckte, mit dem improvisierten Initialisator in den Händen. Wenige Sekunden später schuf ein kleiner Kraftfeldgenerator eine von Wand zu Wand reichende energetische Barriere. »Aktivieren Sie Ihren Schwarm, Chronist. Und denken Sie daran, Sie haben nur einen Versuch.«
    Xavius’ Finger zitterten ein wenig, als er den Code eingab. Der Schild, der ihn von Rogge und den anderen trennte, nützte eigentlich gar nichts. Unter anderen Umständen hätte er seine Mikromaschinen durch den Synthstahl der Wände schicken können – das molekulare Gitter des synthetischen Metalls bot genug Platz. Es wäre sogar möglich gewesen, die Frequenz und Polarisierung des Kraftfelds zu messen und einen Teil seines Schwarms so zu modifizieren, dass er mit nur geringen Verlusten hindurchtunneln konnte. Es hätte nicht länger als einige Minuten gedauert und ihm Gelegenheit gegeben, die Minerva-Leute anzugreifen. Aber selbst wenn ihm so viel Zeit zur Verfügung gestanden hätte: Sein Plan erforderte keinen direkten Angriff, weder auf Rogge und seine Komplizen noch auf die Systeme des Transferschlittens.
    »Fünf Sekunden«, sagte der Mann vorn an den Kontrollen. »Vier …«
    Der Horizont von Xavius’ Wahrnehmung erweiterte sich, als seine Mikromaschinen erwachten. Die Okulare in den Augen funktionierten wieder, und er hörte Herzschlag und Atmung

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