Der letzte Regent: Roman (German Edition)
Jahrhunderten wurde sie einmal ›Lethargie des Fehlens‹ genannt. Das geschieht mit der Phalanx ohne den Regenten: Sie wird müde. Er ist der Garant der Kohärenz.«
Wir gehören alle zusammen, dachte Tabatha. Nur zusammen sind wir stark. Wir müssen miteinander verknüpft sein.
Vielleicht hatte sie diese Worte nicht nur gedacht, sondern auch ausgesprochen, denn die Promotoria sagte: »Du hast recht. Derzeit bleibt die Phalanx mit der Kraft der Morti stabil, die sich hier in der Stillen Stadt befinden. Wir alle sind müde, aber beim Schläfer ist die Erschöpfung am größten, denn seine Affinität verwaltet, was uns zusammenhält«.
»Ich bin ebenfalls affin«, sagte Tabatha. Sie konnte jetzt sprechen, ohne den Mund zu bewegen. Wie einfach, wie sparsam; es bewahrte Kraft.
»Er hat jemanden wie dich gesucht«, erwiderte Selena M Seace, und Ernst lag in diesen Worten, zweitausend Jahre tief. »Jemanden, der seine Nachfolge antreten kann. Aber zuerst geht es darum, die Phalanx zu bewahren, bis das Konklave einen neuen Regenten bestimmt. Ich bin deine Tür zu ihm, Tabatha M Belote. Ich stehe offen. Er wird eine andere Tür öffnen, für euch beide.«
Hier bin ich.
Die Säulen und Emporen verschwanden. Tabatha stand auf einem schneebedeckten Berggipfel, hörte das Flüstern von kaltem Wind und sah Hunderte von anderen Gipfeln, grau und weiß, die sich vor ihr in langen, stillen Reihen bis zum fernen Horizont erstreckten.
»Es ist meine alte Heimat«, sagte der Mann neben ihr. »Gefällt sie dir?«
Er hatte das Gesicht des Schläfers, aber hier, an diesem besonderen Ort in ihren Köpfen, war sein Körper vollständig. Das Licht der Sonne funkelte in seinen offenen Augen, und der Wind spielte mit aschblondem, ergrauendem Haar.
Tabatha hob die Hand und stellte fest, dass sie wieder ihre langen Zöpfe hatte. Aber sie freute sich nicht darüber, denn Freude blieb allein den Lebenden vorbehalten.
Einige Meter entfernt erhob sich ein Rechteck aus dem Schnee, gefüllt mit einem Glanz wie Perlmutt.
Rudolph Allan Zayac bemerkte Tabathas Blick. »Das ist ein RIT-Tor, und dahinter wartet der Schrein auf uns, der Anfang des Enduriums.« Er breitete kurz die Arme aus. »Es tut mir leid, Tabatha.«
»Die Phalanx muss stabil bleiben, und das Endurium stark. Ich weiß, dass uns eine schwere Aufgabe erwartet. Ich bin bereit.«
»Du weißt nicht, was dich erwartet, Tabatha.« Es klang traurig und müde. Das Licht am Himmel schwand, die Nacht brachte Lichter in die Täler unter ihnen, als hätten die Sterne beschlossen, sich auf dieser Welt niederzulassen. Die Bilder wechselten, während Tabatha sie betrachtete: Berge und Seen, Wälder grün wie Jade, Städte mit Gebäuden, die sich in ihrem Streben, den Himmel zu erreichen, gegenseitig zu übertreffen suchten. Und die Stimmen, die Stimmen von Myriaden lebender Seelen, jede von ihnen allein nur ein Wispern, aber zusammen stark, ein donnerndes Brausen.
»Dies ist die Erde?«
»Ja. So war sie einst. Vor der Katastrophe, vor dem Kollaps.«
»Wo ist der ätzende Regen? Wo sind die dunklen Wolken mit ihren Blitzen? Wo sind Ödland und Wüsten?«
»Das alles gab es nicht immer«, sagte Zayac.
Tabatha erinnerte sich an die Geschichte, die er ihr erzählt hatte. »Es tut mir leid für dich«, sagte sie.
Zayac streckte den Arm. »Es tut gut, sich zu erinnern. Es ist wichtig , dass wir uns erinnern. Wie kann der Anfang des Weges weniger wichtig sein als das Ziel? Was ist das Ziel, Tabatha?«
»Die Sicherheit des Enduriums«, sagte sie sofort, mit einer Überzeugung, die tief in ihrem Innern wurzelte. »Das Überleben der Menschheit.«
»Und der Anfang?«
Sie antwortete nicht ganz so schnell. »Die Zerstörung der Erde durch die Ayunn.«
»Das stimmt nicht ganz. Ich habe dir meine Geschichte erzählt, ja, aber es gibt Lücken darin. Manche Dinge habe ich vergessen, weil ich schwach geworden bin. Andere haben mir die Regenten genommen, Erinnerungen, die sie für so wichtig hielten, dass sie sie zu ihren Geheimnissen machten.«
Tabatha deutete zur Tür. »Du hast mir nicht sagen können, was der Schrein enthält. Gleich werde ich es sehen.«
»Du bist affin wie ich, Tabatha. Deshalb bist du hier. Es bedeutet auch, dass du leiden wirst, mit mir zusammen. Später werden die Promotoria und ihre Morti versuchen, dir die Erinnerungen daran zu nehmen, damit das Leid dich nicht ständig begleitet. Aber das schützt dich nicht vor dem Jetzt .«
Tabatha blickte noch einmal über die
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