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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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und an den Dämmerzustand dazwischen, das geistige Niemandsland, in dem Stimmen von beiden Seiten flüsterten. Damals hatten sie ihm vom Endurium erzählt, von seiner Geschichte, von seinen Menschen und Maschinen, vom Feind und der Faust des Regenten, die ihn seit zweitausend Jahren abwehrte: Wissen, das sein Geist direkt empfing. Jetzt raunten die Stimmen von widersprüchlichen Dingen, von Erinnerungen an verschiedene Leben, die nicht alle ihm gehören konnten.
    »Vierunddreißig«, sagte jemand, und es klang fast nach Glockengeläut.
    »Ich fühle mich nicht besonders gut«, sagte Xavius und taumelte. Er schien schwer zu sein, so schwer, dass die Beine Mühe hatten, sein Gewicht zu tragen. Andere Menschen befanden sich in der Nähe, bunt gekleidet, sie eilten durch Gassen, über Straßen und Treppen. Soldaten des Enduriums patrouillierten, ausnahmslos Vivi, manchmal begleitet von summenden und surrenden Servitoren, Wesen aus Synthstahl und Polymerkeramik, deren Sensoren noch mehr sahen als die Schwarmokulare in den Augen der schwer bewaffneten Uniformierten. »Ich bin noch immer ich«, fügte er schwach hinzu.
    »Du bist es noch in deinem Kopf«, erwiderte Laurania, die dicht neben ihm ging. Xavius wusste, dass es Laurania war, obwohl sie anders aussah. Ihr Haar schien in Flammen zu stehen, und ihre Haut war hell. »Äußerlich bist du bereits Jerull Urik.«
    Sein Gesicht juckte. Er wollte die Hand heben und sich an der Wange kratzen, aber Laurania hielt seinen Arm fest, unauffällig, damit niemand Verdacht schöpfte. »Vorsicht.« Sie sprach leise, denn zwei Soldaten befanden sich in der Nähe, und einer von ihnen ließ einen Identifikator aufsteigen, dessen aufmerksames Auge alle Passanten beobachtete. »Die Maske hat sich noch nicht ganz in dir verankert.«
    Sie gingen weiter, umgeben von Menschen und Gebäuden. Eine Stadt, dachte Xavius. Wir sind in einer Stadt. Nicht in Klisski, denn es fehlte die Kuppel der Permanenten Konferenz auf dem Tafelberg. Dies war eine andere Stadt auf Bluestone, die sich ebenfalls auf Terrassen an Berghängen erstreckte, aber nicht bis in große Höhen. Tatsächlich war sie dem Weltwald so nahe, dass Xavius das zornige Zischen der Brenner an den Barrieren hörte. Weiter vorn, auf einem kleinen Plateau, standen mehrere Shuttles, Luftwagen und Springer hinter dem flirrenden Vorhang eines Schirmfelds, überragt von einem dunklen, kantigen Kanonenboot mit ausgefahrenen Waffendornen. Soldaten gingen an Bord, und in den Fokussierringen der Gravitatoren glühte Bereitschaftsenergie.
    »Vielleicht wird Bluestone geräumt«, brummte Lupton, der links neben Xavius ging. Sie alle trugen die schiefergraue Kleidung der technischen Abteilung des Enduriums. »Vielleicht brauchen die Streitkräfte des Enduriums alle ihre Truppen, um der dritten Inkursion zu begegnen.«
    Xavius erinnerte sich an Wasser. Eine Fahrt durch Wasser, durch die Dunkelheit eines unterirdischen Flusses. Das war eine Szene. Eine weitere zeigte ihm das Auftauchen in einer Kaverne, die vielleicht Teil eines Höhlensystems unter dem Tafelberg dieser Stadt war. Männer und Frauen hatten sie in Empfang genommen, vermutlich weitere Mitglieder oder Helfer von Minerva. Er erinnerte sich auch an Laurania, die immer bei ihm geblieben war, vielleicht auch während der Lücken in seinem Gedächtnis. Und an Rebecca, die ihm manchmal in die Augen gesehen und Zahlen gesungen hatte, damit sich Türen und Fenster in seinem Geist öffneten oder schlossen. Er wusste nicht, was sie in seinem Kopf angestellt hatte, und vielleicht war es auch besser so, denn er wollte die langen Phasen der Übelkeit nicht noch einmal erleben.
    »Damit haben Sie nicht gerechnet, mit der Inkursion«, sagte er, als die beiden Soldaten mit dem Identifikator weit genug hinter ihnen waren. Sie näherten sich dem Plateau mit dem Start- und Landefeld. Hinter dem Flimmern des Schirmfelds gingen Wächter auf und ab. An der einen geöffneten Strukturlücke wurden alle Personen kontrolliert, die das Plateau betreten oder verlassen wollten. »Müssen wir den Plan ändern?« Wieder gaben die Knie nach. »Warum fühle ich mich so schlecht?«
    Noch fünfzig Meter bis zum Schirmfeld. Eine Warteschlange hatte sich vor der Strukturlücke gebildet. Einige Dutzend Meter dahinter hob das Kanonenboot mit seiner Soldatenfracht ab. Heller werdendes Leuchten kam aus den F-Ringen der Gravitatoren, als das Schiff aufstieg und schneller wurde, den Tafelberg mit der Terrassenstadt unter sich

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