Der letzte Regent: Roman (German Edition)
entlarven und dadurch dem ganzen Endurium zeigen, dass er unschuldig war, das Opfer einer interstellaren Verschwörung. Aber er wollte nicht unbedingt zum Sprachrohr von Minerva werden, und darauf würde es hinauslaufen. Lupton und die anderen würden für ihre Hilfe eine Gegenleistung von ihm verlangen; vielleicht sah der Plan bereits eine klare Rollenverteilung vor. Die Loyalität dem Endurium gegenüber war so tief in ihm verankert, dass er sie nicht innerhalb weniger Tage oder Wochen überwinden konnte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass das Mesh Lügen über ihn verbreitete. Ein Teil von ihm – vielleicht ein dummer, naiver Teil – war noch immer bereit, von einem großen Irrtum auszugehen, von einem Missverständnis, das sich mit etwas gutem Willen aus der Welt schaffen ließ.
»Es wäre mir lieber, genau Bescheid zu wissen«, sagte er und spürte, wie die Aufregung in dem großen Raum zunahm. Die Stimmen von Kommunikationssystemen flüsterten lauter; pulsierende Lichter wetteiferten um Aufmerksamkeit.
»Im Zentrum des Enduriums, vielleicht schon vorher, werden Sie auf Esper der ASE treffen«, sang Rebecca. »Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass sie Ihre Urik-Identität als falsch erkennen. Es gehört zum Plan, der Sie zum Konklave bringen soll. Sie werden es als Xavis Xavius erreichen. Der wahre Mörder wird Sie holen, um Ihnen die Schuld zu geben, um Sie als Verantwortlichen zu präsentieren. Aber auf keinen Fall dürfen die Esper Gelegenheit erhalten, Teile des Plans in Erfahrung zu bringen. Daher werde ich auch die Erinnerung an dieses Gespräch tief in Ihnen vergraben.« Sie legte eine kurze Pause ein.
»Telepathen in Diensten der Abteilung zum Schutz des Enduriums?« Xavius schüttelte den Kopf; es fiel ihm schwer, das zu glauben.
»Seit der Zeit des Regenten Adam Alamus«, sagte Rebecca. »Seit den Tagen des hundertjährigens Friedens. Ein Sonderkommando der Streitkräfte hat damals Helaska überfallen, meine Heimatwelt im Schlund, und vierunddreißig Kinder entführt. Aus ihrem genetischen Material gingen die Esper der ASE hervor.«
Wieder etwas, das ich nicht wusste, dachte Xavius. Oder es ist erfunden. Dies alles könnte erfunden sein. Ein Trick.
Er zwang seine Gedanken in eine neue Richtung. »Was ist mit Rogge und den anderen? Wissen Sie inzwischen, wohin sie gebracht wurden?«
»Nein«, antwortete Lupton. »Wir hoffen, dass Sie beim Konklave mehr erfahren können. Nun, Chronist, sind Sie so weit?«
Xavius stand auf und dachte an die Probleme mit seiner adaptiven Schizophrenie. »So viele Lügen in meinem Kopf«, sagte der Mann, der sich damals auf Tibetian der Wahrheit verschrieben hatte. »Hoffentlich geht dabei das Wahre nicht ganz verloren.«
Rebecca öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders und schloss ihn wieder. Vielleicht haben wir auch darüber gesprochen, dachte Xavius. Über die Gefahren nicht nur für mein physisches Überleben, sondern vor allem für meine geistige Integrität.
»Wir hoffen, dass alles seinen richtigen Platz findet«, brummte Lupton.
»Wie schön, dass Sie es hoffen «, sagte Xavius. »Das beruhigt mich ungemein.«
Ein Pfeifen ging durch den Raum, und jemand rief: »Wir haben die Dringlichkeitsnachricht für die Streitkräfte des Enduriums entschlüsselt. Hier ist sie.«
Ein Rauschen lag in der Luft, und darin erklang eine Stimme, rau, von einem Vokalisator verstärkt. Ein Mortus sprach da, und er sprach sehr ernst.
»An die Streitkräfte, an alle Soldaten der Faust des Regenten«, sagte diese Stimme. »Starke Verbände der Ayunn sind in die Sektoren Ophiuchus und Orion vorgestoßen. Die Bastionen von Linkon und Mearing im Itnyre-System sind zerstört, der Konnektor mit Verbindung zu den zentralen Welten befindet sich unversehrt unter der Kontrolle des Feindes. Dies ist die dritte Inkursion …«
Zwei Hände, weiß und schmal, packten Xavius’ Kopf und drehten ihn.
»Sehen Sie mir in die Augen«, verlangte Rebecca.
Er sah ihr in die Augen; er konnte nicht anders.
»Neunundvierzig«, sagte Rebecca, und Xavius fiel, vielleicht durch neunundvierzig Schichten aus Wahrheit und Lüge.
Inkursion
41
Xavius sah die Welt in einzelnen Szenen, mit Lücken dazwischen, mit leeren Stellen, die nur verstreichende Zeit enthielten. Es erinnerte ihn ans Mnemonische Institut in Ibbemma auf Tibetian, damals, als er seine Karma-Prägung erhalten hatte, an den sonderbaren Wechsel von Wachen und Schlafen mit offenen Augen,
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