Der letzte Regent: Roman (German Edition)
zerplatzen an der Wasseroberfläche und verursachen dabei Töne, die sich zu Worten aneinanderreihen, hörbar nur für ihn. Einige andere Patienten des Krankenhauses gehen am See vorbei, aber niemand schenkt ihm Beachtung, niemand von ihnen hört den Fisch.
Weitere Luftblasen perlen empor. »Es ist ein noch besserer Plan«, sagt der Fisch. Er ist blau wie die Wipfel der Bäume, blau wie … wie jemand, an den sich Xavius nicht erinnern kann. »Er bringt Sie garantiert zum Konklave.«
»Zum Konklave? Was ist das?«
Dass er mit einem Fisch spricht, könnte ein Zeichen von Wahnsinn sein, weiß Xavius. Es könnte darauf hinweisen, dass er übergeschnappt ist. Aber er fühlt sich gut, er ist ganz hier, und nur darauf kommt es an. Außerdem ist er neugierig.
»Es soll dem Mörder Gelegenheit geben, die Macht zu ergreifen«, antwortet der Fisch. Sein menschliches Gesicht befindet sich dicht unter der Wasseroberfläche und sieht zu ihm auf.
Mörder, denkt Xavius. Es ist ein Wort, das ihn an etwas erinnert, doch auch diese Erinnerung entzieht sich ihm, sie krabbelt fort, als er danach greifen will.
»Ein Plan«, sagt er und lächelt. »Ein Plan ist immer gut.« Er klopft sich an die Stirn. »Hier drin gibt es viele Pläne.« Das stimmt. Sein Kopf ist voll von Plänen, aber die meisten von ihnen verkriechen sich, wenn er den Blick des inneren Auges auf sie zu richten versucht, sie krabbeln fort wie die Erinnerungen, die nicht erinnert werden wollen, sie verstecken sich in einer dunklen Ecke und warten dort, bis er sich anderen Dingen widmet. »Welchen Plan meinst du?«
»Den einen«, sagt der Fisch mit dem Menschengesicht. Es ist das Gesicht einer Frau. »Den geänderten. Den neuen.«
Es gibt einen kleinen Trick. Xavius hat ihn in den letzten Tagen gelernt, so lange ist er schon hier. Wenn er innerlich zurückweicht, wenn er Gleichgültigkeit vorgibt, wenn er so tut, als hätte er überhaupt kein Interesse … Dann wagen sich die Erinnerungen manchmal aus ihren dunklen Ecken, weil sie sich sicher fühlen.
Er tritt einen Schritt zurück, in seinem Innern, und lässt den Mund allein sprechen.
»Wir wollen den Mörder des Regenten entlarven, nicht wahr?«, fragt der Mund.
»Ja«, erwidert der Fisch.
»Ich kenne ihn bereits.«
Luftblasen steigen auf. »Ja.«
»Aber ich habe seinen Namen vergessen.«
»Du wirst dich an ihn erinnern.«
Schritte nähern sich, und mit einem Platschen ist der Fisch fort; er hinterlässt nur einige Wellen, die durch den roten Teich laufen, kleiner werden und verschwinden.
»Wie geht es Ihnen heute, Xavius?«
Die Frage stammt von einer Frau, die ein türkisfarbenes Gewand trägt.
»Es geht mir gut«, sagt er. Die Frau ist eine alte Bekannte, sie meint es gut mit ihm, sie bringt Medizin, die ihm hilft, die ihm dabei geholfen hat, sich besser zu fühlen. »Können Fische sprechen?«
»Nicht die, die ich kenne«, sagt Marta.
»Ich habe gerade mit einem gesprochen.« Xavius deutet auf den roten Teich. »Er schwamm hier drin und hatte ein menschliches Gesicht.«
»Wovon hat der Fisch gesprochen, Xavius?«
»Von …« Er runzelt die Stirn. »Ich weiß es nicht mehr. Ich habe es vergessen.«
Marta hält plötzlich ein Glas in der Hand, darin eine blaue Flüssigkeit. »Ich habe dies für Sie mitgebracht.« Sie lächelt. »Heute ist ein großer Tag. Heute helfen wir Ihnen dabei, die letzten Reste des Traumas abzustreifen. Danach werden Sie frei sein. Dies ist die letzte Medizin; mehr brauchen Sie nicht.«
Xavius nimmt das Glas und trinkt, ohne zu zögern.
»Und jetzt?«, fragt er, als er das Glas geleert hat.
Und jetzt steht er in einem Saal, es ist nicht hell, es gibt viele Schatten, genug, um nicht nur Erinnerungen zu verstecken, sondern auch Gesichter. Er weiß, dass es dort Gesichter gibt, er hat sie schon einmal gesehen, aber sie bleiben im Dunkeln. Er muss sie mit Worten aus der Düsternis holen, mit den richtigen Worten. Die richtigen Worte sind es, die Licht vom Dunkeln trennen, das hat er schon damals gewusst, in Ibbemma auf Tibetian. Jemand hat damals die richtigen Worte an ihn gerichtet, sie kriechen nicht fort, sie sind da, und er greift nach ihnen, er greift in die Vergangenheit und hält sie fest. Manche von uns tragen das Schwert. Andere schwingen die Waffe des Wortes. Und Worte sind wichtig, Xavius. Sie bedeuten Erinnerung an das, was gewesen ist. Pion M Paulus hat diese Worte gesprochen, in einer anderen Welt, die doch diese ist, und er, Xavius, hält sie fest, sie sind
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