Der letzte Regent: Roman (German Edition)
eine Mischung aus Lehm und Schwefel, wurde ein lindgrüner Ton.
»Und der Turm kann jederzeit Energie aus dem höheren Kontinuum abzapfen, sie in Komposit verwandeln und sich hinzufügen.«
»So habe ich Hektor Rogges Erklärungen verstanden, als wir zum letzten Mal hier waren.«
»Und den Konfigurationsmöglichkeiten sind praktisch keine Grenzen gesetzt?«, fragte Xavius, dessen Interesse sich mehr und mehr in Entsetzen verwandelte.
»Soweit ich weiß, nein.«
»Das bedeutet, dass wir nicht gegen die Ayunn gewinnen können«, sagte Xavius. Jemand anderer schien die Worte zu sprechen; sie hatten mehr Gewicht, als er tragen konnte. »Selbst wenn unsere Streitkräfte bei dieser dritten Inkursion noch so viele Schiffe von ihnen vernichten … Sie könnten jederzeit neue herbeischaffen. Allein dieser Turm, dieser Materiebrunnen … Wie viele Schiffe ließen sich aus seinem Komposit konfigurieren?«
»Hunderte, nehme ich an«, sagte Laurania.
»Und wie viele solche Brunnen gibt es? Vorhin hast du gesagt, dieser könnte ein peripherer sein, ein unwichtiger.«
Laurania zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«
»Die Ayunn haben unbegrenzten Nachschub an Schiffen und Material.« Die Welt schien plötzlich ein Loch zu haben, und Xavius hatte das Gefühl hineinzufallen, unendlich tief. »Wir haben keine Chance.«
»Was?« Laurania war da und stützte ihn. Über dem Changer, und sieben Millionen Kilometer hinter ihm, in einem der Schlünde beziehungsweise Transferkanäle, aus denen die Wände dieses Mikrouniversums bestanden, flackerte es.
»So stark die Faust des Regenten auch sein mag, und selbst geeint: Die Menschheit hatte nie eine Chance. Nicht gegen so etwas. Wie sollen die Streitkräfte des Enduriums sie aufhalten, wenn die Ayunn praktisch beliebig viele Schiffe in den Kampf schicken können?«
Der lindgrün gewordene Trichter schwoll an und stülpte sich nach vorn. Xavius richtete den Blick darauf, um sich von seinem Elend abzulenken. Was auch immer dort geschah, es war bereits geschehen, vor etwa vier Minuten, denn so lange brauchte das Licht von den Trichtern, um den dunklen Turm des Materiebrunnens zu erreichen. Es sei denn, die Vorgänge in diesem kleinen Universum wurden von anderen physikalischen Konstanten bestimmt.
»Was ist mit ihm?«
Eine vertraute Stimme, wie Musik, und sie kam von der Treppe, die ins Innere des Turms führte. Rebecca eilte besorgt auf sie zu, gefolgt von Lupton, Ozell und dem Piloten. Xavius blinzelte und versuchte sich daran zu erinnern, ob noch weitere Personen bei ihm gewesen waren.
»Wir hatten nie eine Chance gegen sie«, sagte er. »Was wir bisher erlebt haben, waren nur Scharmützel.«
»Wovon redet er da?«, ertönte Luptons tiefe Stimme.
»Von der dritten Inkursion.« Xavius kämpfte gegen die Übelkeit an. »Aus dem Komposit der Materiebrunnen können mehr Schiffe geschaffen werden, als die Ayunn brauchen, um alle Sonnensysteme des Enduriums anzugreifen, und auch die Splitter-Welten. Selbst die Bastionen und Festungen des Inneren Verteidigungskreises wären ihnen nicht gewachsen. Sie könnten innerhalb kurzer Zeit das Sol-System mit der alten Erde erreichen.« Er stellte sich Ayunn-Schiffe am Himmel über der Stillen Stadt vor und würgte erneut.
»Ich dachte, ich hätte ihn stabilisiert«, hörte er Rebecca sagen. »Es muss etwas mit dem festen Kern in ihm zu tun haben. Seltsam. Bei den Menschen im Magellangraben und im Schlund gibt es so etwas nicht.«
Es ist unsere Vorbereitung, dachte Xavius, und es war ein Gedanke von vielen, die sich im aufgewühlten, sturmgepeitschten Ozean seines Geistes bewegten. Jeder bekommt sie in unseren Mnemonischen Instituten, bei der Karma-Prägung. Wie sollten wir sonst zu Morti werden? Wie sollten wir sonst sterben und doch weiter existieren können, ohne diesen festen Kern, den Anker für unsere Seele?
Aber jetzt war er ohne Halt und fiel noch immer.
Rebecca sah ihn seltsam an und öffnete den Mund, vielleicht um eine ihrer Zahlen zu nennen.
Xavius hob die Hand. »Nein, bitte nicht.«
Sie gingen zum Changer, über den dunklen Turm, der sich unter ihnen zu verändern begann. Xavius spürte es, ein leichtes Zittern, eine Vibration, die durch seine Füße aufstieg. Auch der Changer zitterte. Er saß da wie ein dunkler Vogel, der es nicht abwarten konnte, gen Himmel zu springen.
Xavius sah zur Treppe zurück, die mindestens fünfhundert Meter hinter ihnen lag. Er erinnerte sich nicht daran, diese Strecke zurückgelegt zu haben.
Weitere Kostenlose Bücher