Der letzte Regent: Roman (German Edition)
Sie hat es wieder getan, dachte er, starrte auf den schmalen Rücken der vor ihm gehenden Telepathin und hörte das leise Klirren der Kristalle in ihrem silbernen Haar. Sie ist erneut in meinem Kopf gewesen. Er fühlte sich besser, die Übelkeit war verschwunden, aber in seinem Gedächtnis gab es leere Stellen, die sich mit einer Art mentalem Hintergrundrauschen füllten.
»Sie haben recht, Chronist«, sagte der Albino. Seine tiefe Stimme schien die Vibrationen zu verstärken. »Mit den Materiebrunnen wären die Ayunn in der Lage, binnen kurzer Zeit riesige Flotten zu schaffen und sie in den Kampf gegen das Endurium zu führen. Aber warum machen sie keinen Gebrauch von dieser Möglichkeit?«
»Sagen Sie es mir, wenn Sie die Antwort wissen.«
»Vielleicht fehlt die Koordination«, sagte Lupton. »Im Verhalten der Ayunn scheint der Zufall eine große Rolle zu spielen. Zumindest haben wir diesen Eindruck. Das gilt auch für unsere Verhandlungen mit den Aggregationen.«
Kollaboration mit dem Feind!, rief einer der vielen Gedanken in Xavius’ Kopf, aber er rief die Worte nicht sehr laut, vielleicht deshalb, weil der Chronass fehlte, der ihnen mehr Nachdruck verliehen hätte.
»Und die Bezahlung für das Archäta, das sie von uns bekommen haben«, warf Laurania ein. »Mal gaben sie viel, mal wenig, mal nur seltsame Worte. Wir wussten nie, was wir von ihnen zu erwarten hatten.«
»Denken Sie an die blauen Steine von Bluestone«, sagte Lupton. »Ohne sie gäbe es im Weltwald, oder in Teilen davon, keine Synchronizität.«
»Es fehlt das Admin-Konzept«, sagte Ozell, und wieder klang es wie ein Quieken.
»Es fehlt der Kopf«, fügte Lupton hinzu. »Das Zentrum, das die Entscheidungen trifft. Die Ayunn nutzen ihr Potenzial nicht, weil sie nicht wissen, wie man es nutzt – oder dass es ihnen zur Verfügung steht.«
Aber das könnte sich ändern, dachte Xavius. Es braucht nur jemand von ihnen auf den richtigen Gedanken zu kommen.
Die vor ihnen aufragende schwarze Orchidee, weniger als halb so groß wie der ursprüngliche Changer, vibrierte so sehr, dass sie zu rutschen begann.
»Er will fliegen«, sagte Ozell. Sie ging Hand in Hand mit Rebecca. »Er will … zum Kampf. Aber das sollte er nicht wollen. Ich habe mit dem Konfigurator des Brunnens gesprochen. Er hat ihm den Wunsch genommen, dem Ruf zu folgen und an der Inkursion teilzunehmen.« Sie ließ Rebeccas Hand los und rief: »Sei ruhig und öffne dich für uns!«
Fast im gleichen Moment kam etwas aus dem großen lindgrünen Trichter, der jetzt viel näher war, wenn die Perspektive nicht trog. Der Schlund, in dem es stärker flackerte als zuvor, spuckte ein großes Ayunn-Schiff aus, viel größer als der Changer vor seiner Reduktion, die es ihm erlauben sollte, den Inneren Verteidigungskreis des Enduriums unbemerkt zu durchdringen und den Hauptkonnektor von Proxima Centauri zu erreichen. Mit nach vorn gestreckten Waffenarmen raste es aus dem Transfertrichter, dessen Öffnung jetzt nicht mehr als einige Zehntausend Kilometer entfernt sein konnte, gehüllt in eine Blase, die es vor energetischen Entladungen schützen sollte. Warum es diesen Schutz brauchte, wurde klar, als zwei Nadeln aus dem hellen Grün des Schlunds sprangen, auf Plasmaflammen reitend dem Ayunn-Schiff folgten und es einholten. Die Raketen explodierten an den Schilden, so hell, dass Xavius geblendet die Augen schloss. Als er die Lider wieder hob, änderte das Ayunn-Schiff – der zentrale Rumpf glich zwei Kugeln, die jemand genommen und halb ineinandergedrückt hatte – den Kurs, raste mit gespenstischer Lautlosigkeit am dunklen Turm des Materiebrunnens vorbei und hielt auf einen anderen Transfertrichter zu, der sich ihm entgegenstreckte.
»Was …«, begann Xavius, aber er sprach nicht weiter, denn es kam noch etwas anderes aus dem nahen Schlund, ein Riese, größer als das große Ayunn-Schiff, und so vertraut, dass eine instinktive Reaktion ihn fast veranlasst hätte, »Gepriesen sei die Faust des Regenten!« zu rufen.
Vielleicht lag eine Art Zoom-Effekt über dem dunklen Turm, denn Xavius sah Einzelheiten, die ihm die Entfernung eigentlich vorenthalten sollte. Was dort kam, was mit trügerischer Langsamkeit aus dem Flackern des Transfertrichters glitt, mit Waffentürmen, die wie Dornen aus dem Rumpf ragten, mit Hangarkuppeln, die Warzen am dunklen Leib des riesigen Schiffes glichen, und Sensorclustern, die an nach vorn gerichtete dünne Finger erinnerten, mit klobigen Rotationsmodulen an
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