Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
schloß er Freundschaft. Er war ein ungestümer, prahlerischer Bursche, flott und wendig, der die halbe Welt gesehen hatte und der über das reden konnte, was er gesehen hatte. Er war gute Gesellschaft, das will ich gar nicht leugnen, und für einen Seemann hatte er vorzügliche Manieren, so daß ich annehme, er ist einmal eher in der Achterhütte als in der Back zu Hause gewesen. Einen ganzen Monat lang ging er bei uns aus und ein, und es ist mir niemals eingefallen, daß seine sanfte, listige Art zu etwas Schlimmem führen könnte. Aber schließlich machte mich doch etwas mißtrauisch, und von dem Tag an war es mit meiner Ruhe vorbei.
Es war nur ein unbedeutendes Erlebnis. Unerwartet kam ich ins Wohnzimmer, und von der Tür her sah ich auf dem Gesicht meiner Frau einen freudigen Willkommensausdruck. Doch als sie mich erkannte, verschwand er sofort, und mit Enttäuschung im Blick wandte sie sich ab. Das reichte mir. Es gab nur Alex Fairbairn, dessen Schritt sie mit dem meinen verwechselt haben konnte.
Wenn ich ihm in diesem Augenblick begegnet wäre, hätte ich ihn umgebracht, denn ich war immer schon wie ein Verrückter, wenn das Temperament mit mir durchging. Mary sah das teuflische Blitzen in meinen Augen, und sie lief auf mich zu, legte mir die Hände auf den Arm und sagte: ‚Tu’s nicht, Jim, tu’s nicht’ – ‚Wo ist Sarah?’ fragte ich. ‚In der Küche’, sagte sie. ‚Sarah’, sagte ich, als ich die Küche betrat, ‚dieser Fairbairn kommt mir nicht mehr über die Schwelle.’ – ‚Warum nicht?’ sagte sie. ‚Weil ich es befehle.’ – ‚Oh!’ sagte sie, ‚wenn meine Freunde dir nicht gut genug sind, dann bin ich es auch nicht.’ – ‚Tu du, was du willst’, sagte ich, ‚aber wenn Fairbairn noch einmal sein Gesicht hier sehen läßt, schicke ich dir eines seiner Ohren als Andenken.’ Sie hatte Angst vor meinem Gesichtsausdruck, nehme ich an, denn sie sagte nichts. Und am selben Abend verließ sie mein Haus.
Ich weiß nicht, ob es bei dem Frauenzimmer die pure Boshaftigkeit war oder ob sie dachte, sie kann mich gegen meine Frau in Brass bringen, indem sie sie ermunterte, sich schlecht zu benehmen. Ist ja auch egal. Jedenfalls nahm sie ein Haus zwei Straßen von uns entfernt und vermie tete Zimmer an Seeleute. Fairbairn pflegte da zu wohnen, und Mary machte dann Besuche und trank Tee mit ihrer Schwester und ihm. Ich weiß nicht, wie oft sie da hingegangen ist, aber eines Tages folgte ich ihr, und als ich die Tür aufsprengte, machte er sich über die Gartenmauer davon wie ein feiges Stinktier. Ich schwor meiner Frau, ich würde sie umbringen, wenn ich sie noch einmal in seiner Gesellschaft anträfe. Sie schluchzte und zitterte und war weiß wie eine Wand, als ich sie nach Hause brachte. Nun gab es zwischen uns keine Spur von Liebe mehr. Ich merkte, daß sie mich haßte und fürchtete, und wenn mich der Gedanke daran zum Trinken trieb, dann verachtete sie mich auch noch.
Nun, Sarah fand in Liverpool kein Auskommen und kehrte nach Croydon zurück, um, wie ich hörte, dort bei ihrer Schwester zu leben. Und mit uns lief alles in der gewohnten Weise weiter. Und dann kam die vergangene Woche mit all dem Elend und dem Zusammenbruch.
Und so hat es sich abgespielt. Wir starteten mit der ›May Day‹ auf eine Rundreise von sieben Tagen, aber ein Oxhoftfaß löste sich und lockerte ein paar Planken, und so mußten wir für zwölf Stunden in den Hafen zurück. Ich ging vom Schiff und kam nach Hause und dachte, was für eine Überraschung ich ihr bereitete, und hoffte, daß sie froh wäre, mich so bald wiederzusehen. Mit solchen Gedanken im Kopf bog ich in unsere Straße ein, als eine Droschke an mir vorüberfuhr, und sie saß drin, neben Fairbairn, und die beiden schwatzten und lachten, und ihnen fiel nicht auf, daß ich am Straßenrand stand.
Ich sage Ihnen, und ich gebe Ihnen mein Wort drauf, daß ich von diesem Augenblick an die Beherrschung verlor, und wenn ich daran zurückdenke, erscheint mir alles wie ein düsterer Traum. Ich hatte viel getrunken, und beides zusammen machte mich ganz wirr. Jetzt, wo ich davon erzähle, habe ich das Gefühl, in meinem Kopf schlägt ein schwerer Hammer, aber an dem Morgen war mir, als zischten und summten die Niagara-Fälle in meinen Ohren.
Ich nahm die Beine in die Hand und rannte hinter der Droschke her. In der Hand hielt ich einen schweren Eichenstock, und ich kann Ihnen sagen: Ich sah rot. Aber während ich noch lief,
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