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Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4

Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4

Titel: Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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Wohnung, um uns, nachdem wir gehört haben, was sie zu sagen hat, eine Meinung zu bilden.«

    Eine halbe Stunde später hatten wir in Signora Luccas kleinem Wohnzimmer Platz genommen und lauschten ihrer bemerkenswerten Erzählung von den unheilvollen Ereignissen, deren Ende wir durch Zufall miterlebt hatten. Sie sprach ein schnelles und flüssiges, aber recht unkonventionelles Englisch, das ich um der Klarheit willen korrigieren werde.
      »Ich bin in Posilippo in der Nähe von Neapel geboren«, sagte sie, »und bin die Tochter von Augusto Barelli, der Vorsitzender der Anwaltskammer und einmal Deputierter war. Gennaro war bei meinem Vater angestellt, und ich verliebte mich in ihn. Er besaß kein Geld und keine Position – besaß nichts als seine Stärke und Energie –, mein Vater war gegen die Verbindung. Wir flohen, heirateten in Bari und verkauften meinen Schmuck, damit wir nach Amerika fahren konnten. Das war vor vier Jahren, und seitdem leben wir in New York.
      Zuerst meinte es das Glück gut mit uns. Gennaro konnte einem italienischen Herrn einen Dienst erweisen – er rettete ihn vor ein paar Schlägern in der Bowery – und gewann so einen einflußreichen Freund. Er heißt Tito Castalotte und war Senior partner einer bedeutenden Firma, Castalotte & Zamba, des größten Fruchtimportunternehmens von New York. Signor Zamba ist ein Invalide, und unser neuer Freund Castalotte hatte in der Firma, die mehr als dreihundert Angestellte beschäftigt, das Sagen. Er gab meinem Mann Arbeit, machte ihn zum Abteilungsleiter und bewies ihm bei jeder Gelegenheit seine Zuneigung. Signor Castalotte ist Junggeselle, und ich glaube, er sah in Gennaro etwas wie einen Sohn, und mein Mann und ich liebten ihn wie einen Vater. Wir mieteten ein kleines Haus in Brooklyn und richteten es ein, und unsere Zukunft schien gesichert; aber dann zog diese schwarze Wolke auf und bedeckte bald unseren ganzen Himmel.
      Eines Abends brachte Gennaro, als er von der Arbeit kam, einen Landsmann mit. Sein Name war Gorgiano, und er kam auch aus Posilippo. Er war ein wahrer Riese, wie Sie ja bezeugen können, da Sie seine Leiche gesehen haben. Er hatte nicht nur einen gigantischen Körper, alles an ihm war auf groteske, erschreckende Weise gigantisch. Seine Stimme klang wie Donner durch unser kleines Haus. Es blieb kaum noch Platz, wenn er beim Reden mit den langen Armen herumfuchtelte. Seine Gedanken, seine Gefühle, seine Leidenschaften, alles war monströs. Er sprach, oder vielmehr er brüllte mit solcher Kraft, daß den anderen nichts übrigblieb, als dazusitzen und zuzuhören, eingeschüchtert vom Strom der Worte. Seine Augen glühten einen an, und man fühlte sich ausgeliefert. Er war ein schrecklicher und wunderbarer Mensch. Ich danke Gott, daß er tot ist!
      Er kam immer wieder. Aber mir fiel auf, daß Gennaro in seiner Gegenwart nicht glücklicher war als ich. Mein armer Mann saß dann bleich und teilnahmslos da und hörte sich dieses nicht enden wollende Toben über politische und soziale Fragen an; denn andere Themen kannte er nicht. Gennaro sagte nichts, aber ich, die ich ihn kannte, konnte aus seinem Gesicht Gefühle lesen, die ich nie zuvor an ihm bemerkt hatte. Zuerst dachte ich, daß es Mißfallen sei. Und dann, allmählich, begriff ich, daß es mehr als Mißfallen war. Es war Angst, eine tiefe, geheime Angst, die mich schaudern machte. An diesem Abend – dem Abend, als ich seine Furcht erkannte – legte ich meinen Arm um ihn und flehte ihn an bei der Liebe, die er für mich hegte, und bei allem, was ihm heilig war, vor mir nichts zu verbergen und mir zu sagen, warum er so sehr unter dem Einfluß dieses riesenhaften Mannes stand.
      Und er erzählte es mir; das Herz gefror mir beim Zuhören zu Eis. Gennaro war in seinen ungestümen, wilden Tagen, als er die ganze Welt gegen sich glaubte und ihn der Gedanke an die Ungerechtigkeiten des Lebens halb wahnsinnig machte, einer neapolitanischen Gesellschaft beigetreten, dem Roten Kreis, die sich von den alten Carbonari herleitete. Die Schwüre und Geheimnisse dieser Bruderschaft sind schreckenserregend, aber wenn man sich einmal unter ihre Gesetze gestellt hatte, gab es kein Entkommen mehr. Als wir nach Amerika flohen, glaubte Gennaro alles von sich geworfen zu haben. Wie groß war sein Entsetzen, als er eines Abends auf der Straße ausgerechnet dem Mann begegnete, der ihn in Neapel in die Bruderschaft aufgenommen hatte, dem riesigen Gorgiano, der sich im Süden Italiens den

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